Volltext: Politischer Wandel in konkordanzdemokratischen Systemen

Liechtenstein Am schwersten fiel einigen Exponenten der Bürgerpartei die Zustim­ mung zum 
Proporzwahlrecht. In der Diskussion um die Unausweichlichkeit dieser Entscheidung schienen die Gegensätze und das gegenseitige Miss­ trauen der beiden Parteien immer wieder durch.8 Ihr Verlauf verdeutlicht zugleich, dass die Bürgerpartei, solange sie Mehrheitspartei war, sich frei­ willig nicht zu dieser Wahlrechtsänderung bereit gefunden hätte. Die Um­ stände des Kompromisses bestätigen die These von Theoretikern der Kon­ kordanzdemokratie, dass dem schwächeren Partner die Erlangung eines Machtanteils nur dann gelingt, wenn er seinerseits über ein Sanktionspoten­ tial verfügt. Das Wahlgesetz von 1939 wurde - als Sicherung gegen weitere Parteibil­ dungen, die die Bürgerpartei als Folge des Verhältniswahlrechts befürchtete - mit einer hohen 
Sperrklausel von 18% ausgestattet, die in der historischen Situation ganz gezielt gegen eine dritte, mit den Nationalsozialisten sympa­ thisierende Partei gerichtet war.9 Allerdings stellte man die Wirksamkeit der Bestimmung für diesen Zweck nicht auf die Probe, weil man jede mit einer Wahl verbundene Emotionalisierung der Bevölkerung vermeiden wollte. Man einigte sich nämlich gleichzeitig darauf, 
die Landtagswahl 1939 als so­ genannte 
«stille Wahl» abzuhalten, d. h. die Regierung erklärte die Kandida­ ten, die auf einer von den Parteien gemeinsam aufgestellten Liste genannt waren, zu Abgeordneten, da keine weitere Liste vorlag. Die Mandatsvertei­ lung auf die beiden Parteien folgte den Stimmenanteilen der letzten Land­ tagswahl (1936). Damals hatte die Bürgeipartei 52 % der Stimmen und 11 Sitze und die Vaterländische Union mit 48% 4 Sitze erhalten. Nach dem neuen Wahlgesetz erhielt die Bürgerpartei nun 8 und die VU 7 Sitze. Da der Fürst für die Dauer des Krieges Neuwahlen aussetzte, wurde das Wahlge­ setz von 1939 erstmals in der Landtagswahl von 1945 angewandt. Da seit der letzten Wahl neun Jahre vergangen waren, spricht das in dieser Wahl erzielte Ergebnis von 54,72 % für die FBP und 45,28 % für die VU - bei gleichbleibender Sitzverteilung - für die Konstanz der Parteibindungen der Liechtensteiner. Die Beschlüsse der gemeinsamen Regierung wurden bis 1945 im Par­ lament keiner öffentlichen Debatte ausgesetzt. Zwischen 1938 und 1945 war die Parteienkonkurrenz suspendiert. Das Ausmass der Kompromiss- 8 Wille, a.a.O., 178ff. ' Praktisch wirksam wurde sie freilich erst in den sechziger Jahren, und die betroffene Partei klagte erfolgreich vor dem Staatsgerichtshof auf Verfassungswidrigkeit einer so hohen Zugangssperre. 139
	        

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