Eine selbstkritische Betrachtung — wie sie zu einem Staatsfeiertag
gehört und auch mit der heutigen Huldigungsfeier nicht unvereinbar
ist — sei in bezug auf zwei Dinge gestattet, die unsere Verhaltensweise
im Öffentlichen und privaten Leben betreffen und die unsere beson-
dere Aufmerksamkeit verlangen. Neben Erscheinungsformen, die
unsere zeitgenössische Zivilisation entwickelt hat und die etwa als
Konsum- oder Wegwerfgesellschaft charakterisiert werden, macht
sich seit Jahren eine Mentalität breit, die es als gerechtfertigt erschei-
nen lässt, von einer Forderungs- oder Anspruchsgesellschaft zu reden.
Begünstigt durch den Wohlstand und hervorgerufen durch eine ver-
breitete Scheu vor der Selbstverantwortung will man die eigene Exi-
stenz bis hin zu den Annehmlichkeiten des Lebens nicht mehr in erster
!inie mit der eigenen Leistung, sondern durch Forderungen sicherstel-
‚en. Verdeutlicht werden solche Forderungen durch ein sogenanntes
Recht auf die jeweiligen Wunschvorstellungen. Die Machbarkeit alles
Wünschbaren wird vorausgesetzt. Der Verzicht als freie Willensent-
scheidung ist in Vergessenheit geraten und selbst das Schicksal gilt als
abgeschafft, wenn es darum geht, Wünsche oder Bedürfnisse meist
materieller Art, aber auch auf sozialem oder medizinischem Gebiet,
koste es, was es wolle, durchzusetzen. Wir selbst sind das Volk, das
den Staat ausmacht, gegen den sich solche Forderungen richten, und
wir selbst müssen daher die Auswirkungen eines unangemessenen
Anspruchsverhaltens gegenüber Staat und Gesellschaft verantworten.
Die Mässigung in der Erfüllung persönlicher Wünsche schärft auch den
Sinn für das gesunde Mass in politischen Angelegenheiten.
Der Sinn für das richtige Mass ist ganz besonders bei der Bewältigung
jener Probleme gefragt, vor die uns die ökologische Herausforderung
stellt. Umweltbelastung und Ressourcenverbrauch werden je nach
Interessenlage unterschiedlich beurteilt. Längst haben wir erkannt,
‚wie notwendig die Sensibilisierung des einzelnen für diese Probleme
Jınd eine Einsicht in die persönliche Verantwortung ist. Dennoch kön-
nen wir nicht behaupten, diese Ziele immer mit optimalen Mitteln