Volltext: Wenn ich an die Schweiz denke

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Mein Vater ist Schweizer, meine Mutter ist Deutsche. 
Damit war mir meine Schweizer Bürgerschaft schon in 
die Wiege gelegt. Geboren und aufgewachsen aber bin 
ich in Liechtenstein, wo ich mit 21 Jahren eingebürgert 
wurde. 
Nach einer längeren Auslandsreise, eine halbe Stunde vor der Lan- 
dung in Zürich, erblickte ich vom Flugzeug aus die Schweizer Alpen, 
orange bestrahlt von der Morgensonne. In diesem Augenblick überkam 
mich das sehr schöne Gefühl, wieder in Geborgenheit und zu Hause zu 
sein. Nur wenig später machte ich meine bisher negativste Erfahrung. 
Auf Grund meiner Einbürgerung in Liechtenstein war ich gezwungen, 
auf meine Schweizer Staatsangehörigkeit zu verzichten. Dies ist recht- 
lich problemlos, aber ich studierte damals schon in Fribourg und war im 
wehrpflichtigen Alter. So geriet ich in die Mühlen der Bürokratie und 
musste die schmerzliche Erfahrung machen, dass es selbst im Rechts- 
staat «par excellence», als der sich die Schweiz gerne sieht, manchmal 
schier unmöglich sein kann, zu seinen Rechten zu kommen, wenn diese 
nicht in die gewohnten Schablonen der Beamten passen. 
Das Heimat- und Zusammengehörigkeitsgefühl der Alpenvölker 
beschränkt sich auf kleine Regionen und überwiegt oft gegenüber dem 
Nationalbewusstsein; man denke nur an den «Kantönligeist». Im Laufe 
der Geschichte wurden Grenzen durch den Alpenraum gezogen, die 
zwar viele Regionen und ihre «Völklein» zu übergeordneten Staaten 
zusammengefasst, die Mentalität der Alpenbewohner aber wenig beein- 
flusst haben. So ist der Unterschied zwischen einem Tiroler und einem 
Bündner nicht grösser geworden als der Unterschied zwischen dem 
Bündner und dem Tessiner. Aus diesem Grunde bedeutet mir die 
Schweiz als Nation nicht viel. Ich fühle mich als alpenbewohnender 
Mitteleuropäer und habe als solcher die Eigenart, mich nur in einer eng 
begrenzten Region wirklich zu Hause zu fühlen. Darum wurde ich 
Liechtensteiner. 
Mitteleuropa und besonders die Schweiz bedeuten Wohlstand und 
Sicherheit. Jeder Mensch, der das Glück hat, hier geboren zu sein, muss 
dankbar sein, denn er hat sich kaum vor materiellen Sorgen und politi- 
schen Unruhen zu fürchten. Dankbarkeit heisst aber keinesfalls Zufrie- 
denheit, schon gar nicht Selbstzufriedenheit. Der Wohlstand der 
Schweiz und ihrer Nachbarn ist zum grossen Teil ein Reichtum auf 
Kosten der Armen. Hätte ich die Macht, etwas in der Schweiz zu 
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