Volltext: Liechtenstein: Kleinheit und Interdependenz

Helga Michalsky die Dynamik der verfassungspolitischen Forderungen im Schosse der Oppo­ sition und die Gründung von zwei Parteien kurz nacheinander ohne die poli­ tischen Veränderungen am Ende des Ersten Weltkrieges, von denen das Land auch direkt betroffen war, kaum denkbar. Unübersehbar ist aber auch hier, dass der vorhandene oppositionelle Kern die Voraussetzung dafür bildete, dass es in Liechtenstein 1918 zur Forderung nach einer Verfassungsreform kam, deren Verwirklichung den europaweiten Demokratisierungswillen schliesslich in einer spezifisch liechtensteinischen Form zum Ausdruck bringt. Die Parteien sind in diesem Prozess zugleich Motor und Produkt. Wo aber liegen die Wurzeln der liechtensteinischen Parteien, d. h. wo nimmt jene oppositionelle politische Bewegung ihren Anfang, aus der schliesslich die «Christlich-soziale Volkspartei», die erste Partei Liechten­ steins, hervorgeht? Für alle Liechtensteiner sichtbar, änderten sich mit dem ersten Erscheinen der «Oberrheinischen Nachrichten» am 25. April 1914 die Grundlagen der öffentlichen politischen Diskussion, denn von diesem Zeitpunkt an verfügte die politische Opposition über ein Sprachrohr. Doch reichen die Anfänge dieser Opposition weiter zurück. Ein Briefwechsel zwischen Dr. Wilhelm Beck, dem Redaktor der «Oberrheinischen Nachrichten», und Alois Frick von Balzers belegt, dass Beck nachweislich seit 1912 in der liechtensteinischen Öffentlichkeit in Erscheinung trat und für oppositionelle Anliegen Partei ergriff. Eine Darstellung der Entstehungsgeschichte der liechtensteinischen Par­ teien muss daher im Jahre 1912 beginnen. In ihr werde ich drei Phasen mit unterschiedlichem Formalisierungsgrad des Parteiwesens unterscheiden. Die erste Phase umfasst die vorparlamentarische Oppositionsbildung von 1912 bis 1914, sie endet mit dem bereits erwähnten Mandatsgewinn in der Landtagswahl von 1914. Die zweite Etappe der Entwicklung umfasst die op­ positionelle Tätigkeit im Landtag, aber noch ohne eigentliche parteimässige Organisation. Sie dauert von 1914 bis 1917, eine Legislaturperiode. In der drit­ ten Phase tritt mit dem Landtagswahlkampf 1918 die Opposition erstmals als Partei unter dem Namen Christlich-Soziale Volkspartei gegen eine Liste an, die ihren überparteilichen Charakter zum Hauptprogrammpunkt erklärt. Sie erhebt für sich den Anspruch, in Liechtenstein erst politisches Bewusstsein ge­ weckt zu haben, das nun in beschleunigtem Tempo in politische Forderungen umgesetzt wird. Dieser Abschnitt umfasst das Jahr 1918 und endet mit der Gründung der Fortschrittlichen Bürgerpartei, die nun ihrerseits den Fort­ schritt in die richtigen Bahnen lenken will. Mit dieser Parteigründung ist der parteipolitische Rahmen für mehr als ein Jahrzehnt abgesteckt. 224
	        

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