Die Struktur der alpinen Berglandwirtschaft, die Kultur- landschaften und das menschliche Gemeinwesen haben sich in den vergangenen 100 Jahren stark ver- ändert. Bis etwa 1870 reicht der Ackerbau noch weit in das Berg- gebiet hinauf. In dieser Zeit dürfte das eigentliche Berggebiet (ohne die Talräume) in vielen Alpen- regionen seinen Bevölkerungs- Höchststand erreicht haben. Nach der «Kornkrise» etwa um 1870 er- folgte im Berggebiet eine starke
Reduktion des Ackerbaus
zugunsten der Grünlandwirtschaft und es setzte eine starke Abwanderung ein, die verbunden mit anderen Entwicklungen unseres Industrie- und Technologie-Zeitalters bis heute anhält. Einige Talschaften, vor allem in den französischen und italienischen Alpen, sind heute weitgehend entsiedelt, während man im deutschsprachigen Alpen- raum bereits seit langem der Ab- wanderung aus dem Berggebiet entgegenzusteuern versucht. 100 Jahre nach der «Kornkrise» ist Europa und mit ihm die Alpen etwa ab 1970 von der «Milchkrise» erfasst worden, die nur dank massi- ver Stützungen durch die öffentli- che Hand nicht zu einem Zusam- menbruch der landwirtschaftli-
chen Betriebsstrukturen geführt hat. Die traditionelle Bergland- wirtschaft hat mit ihren stand- ortsangepassten, relativ extensi- ven, geringer mechanisierten und auf weniger Fremdstoffe zurück- greifenden Bewirtschaftungsfor- men einen grossen Einfluss auf die biologische Vielfalt im Alpenraum gehabt. Schätzungsweise 1/3 der Arten- und Biotop-Vielfalt im Kulturland der Alpen kann als an- thropogen «geschaffen» eingestuft werden. Eine grosse Zahl von Tier- und Pflanzenarten, die an extensiv genutzte Standorte gebunden sind, sind heute vom Aussterben be- droht. Und auch die biologische bzw. die genetische Vielfalt inner- halb der Landwirtschaft ist be- droht. So stehen z.B. mehr als 150 Nutztierrassen in den Alpen vor dem Aussterben, wenn nicht un- verzüglich Gegenmassnahmen er- griffen werden. In Liechtenstein besteht fogender Handlungsbedarf zum Schutz der Nutztierrassen und Nutzpflanzen: •
Im Obst- und Rebenbereich sollten Erhebungen über noch vorhandene alte Sorten ge- macht werden.
• Die Tierzucht lehnt sich stark an die Entwicklungen in der Schweiz an. Das Gebiet ist zu klein, um spezifisch liechten- steinische Handlungsbedarfe auszumachen. Handlungsbedarf besteht aber, wenn man einen grösseren Raum betrachtet. So ist es erforderlich, dass sich Liech- tenstein an Erhaltungs- programmen für Rassen aus dem Grossgebiet Rheintal beteiligt. Mit dem Rückzug der Landwirt- schaft aus den Grenzertragslagen und der Intensivierung der Pro- duktion in den Gunstlagen ist die- ses Natur- und Kulturerbe zuneh- mend bedroht und es lässt sich auch nicht in Schutzgebieten erhal- ten. Die einzige Möglichkeit zu dessen weitgehender Erhaltung besteht in einer integrierten Schutz- und Entwicklungspolitik für die gesamte bewirtschaftete Fläche. Unsere nächste Aufgabe wird sein, die Frage zu beantworten: Welche Formen von Wirtschaft oder Landschaft wollen wir, wo, wieviel und auf welche Art? LIECHTENSTEINER UMWELTBERICHT FEBRUAR 1996