Volltext: Liechtensteiner Umweltbericht (1992) (30)

Seite 2 Liecht. Umweltbericht, November 1992 Landwirtschaft gestern und heute Gestern wie heute liegt der Zweck der bäuerlichen Tätigkeit in der Pro- duktion von Nahrungsmitteln. Der Bauer von heute steht jedoch in ei- nem völlig anderen gesellschaftlichen Umfeld — die Industrie hat der Landwirtschaft längst den Rang abgelaufen. Die Produktionsmethode des modernen Landwirts nähert sich immer mehr einem industriellen Fertigungsprozess. Und doch bleibt ein markanter Unterschied: Der Bauer arbeitet mit dem Boden und prägt den Landschaftsraum — ge- stern wie heute. 1955, als Gustav Meier (Name erfunden) ge- boren wurde und Liechtenstein bereits in ei- nem starken Industrialisierungsschub steck- te, war seine Familie eine Bauernfamilie un- ter vielen: genauer gesagt gab es damals 640 hauptberufliche Landwirte. Im Durchschnitt hatte jede Gemeinde noch etwa 60 hauptbe- rufliche Landwirte. Gustav Meier ist wie sein Vater Bauer, aber nur noch einer von 160. In den letzten drei Jahrzehnten sind in Liech- tenstein jedes Jahr etwa 15 hauptberufliche Bauern verschwunden. Gustav Meier ist- Bauer geblieben, aber aus dem Dorf ist er auch verschwunden. Sein Aussiedlungshof liegt weit im Ried draussen. Mit seinen 23 Hektaren Betriebsfläche gehört er zu den gesunden Familienbetrie- ben, die vielleicht auch in der Zukunft eine Existenzchance haben. Gerne hätte er noch   ein paar Hektaren mehr, aber der Boden ist halt knapp und begehrt. Als er geboren wur- de, standen den Bauern noch 4330 Hektaren zur Verfügung, jetzt sind es noch 3400. Jedes Jahr wurde der Landwirtschaft eine Nutz- fläche von der Grösse seines eigenen Betrie- bes entzogen. Manchmal fragt er sich, ob es nicht auch einmal ihn trifft. Denn die mei- sten möchten mehr Boden bearbeiten, Bo- den, der immer knapper wird. Mehr, mehr, mehr ... Als Gustav geboren wurde, hatte nur jeder 
zehnte Bauer einen Betrieb, der grösser war als 15 Hektaren: Jetzt sind es mehr als die Hälfte; wer darunter liegt, dürfte auf längere Sicht kaum eine Überlebenschance haben. Mit 4 Kühen, 3 Rindern und 5 Schweinen geht es heute nicht mehr. Obwohl es immer weniger Bauern gibt, hat der Viehbestand zugenommen. Und erst die Milchleistung der Kühe! Gustavs Vater konnte im Jahresdurch- schnitt pro Kuh etwa 1300 kg Milch melken. Gustavs Kühe geben die dreifache Milchmenge her — soviel, dass der Staat eine Milchkontingentierung einführen musste. Das ist halt die Sorge von Gustav Meier: zu- erst wird gefördert und subventioniert, und dann kommt der Riegel. Das ist beim Silo- mais so — zwischen 1975 und 1985 stieg die subventionierte Anbaufläche von 300 auf 460 Hektaren — und das ist bei den Schäd- lingsbekämpfungsmitteln so — Mitte der 80er Jahre wurde siebenmal mehr gespritzt als Mitte der 50er Jahre. Jetzt werden diese Sub- ventionen gestrichen oder gehen stark zurück. Gustav muss sich wieder neu orien- tieren. Dabei ist ihm klar, dass ohne staatli- che Unterstützung nichts mehr geht: Sorgen bereitet ihm auch die Pachtsituation. Wie die meisten Bauern in Liechtenstein ist ein grosser Teil seines bewirtschafteten Bo- dens Pachtland. Und da weiss man eben nie, wie lange man den Boden noch bekommt. Als verantwortungsbewusster Bauer hält er 
eine Fruchtfolge ein, doch dann sollte er auch die Gewähr haben, dass er den Boden längerfristig bearbeiten kann. EG und GATT drohen Wie das mit der EG und der GATT weiterge- hen soll, weiss er nicht. Wenn international die Streichung der Agrarunterstützungen verlangt werden sollte, gibt es 'nur zwei Mög- lichkeiten: aufhören oder einen agroindustri- ellen Betrieb mit 60 Hektaren Land, grösse- ren Bewirtschaftungsflächen, mehreren An- gestellten und 200 Kühen im Stall hochzuzie- hen. Denn die Arbeitsbedingungen und das Einkommen sollten mit denjenigen anderer Wirtschaftszweige vergleichbar sein, sonst lohnt sich die Anstrengung auf die Dauer nicht. Eine weitere Möglichkeit könnte al- lenfalls noch der Anbau von Spezialkulturen sein. Doch vorläufig gibt es noch einen Hoff- nungsschimmer. In Zukunft sollen die Sub- ventionen umverteilt werden, so dass den Bauern die ökologischen Sonderleistungen entlohnt werden. Dies liegt genau im Sinne von Gustav, denn es tut ihm weh,' dass er in der Vergangenheit den letzten Rest aus dem Boden herauspressen musste, um über die Runden zu kommen. Wenn der Ertragsanteil für eine Blumenwiese oder einen ungedüng- ten Bachrand finanziell abgegolten wird, kann ihm das Recht sein. Seit einiger Zeit interessiert sich die Familie Meier für den biologischen Landbau. Sie le- sen viel darüber und haben auch schon Kurse besucht. Aber die Umstellung wäre einfach zu riskant gewesen. Was passiert bei einer schlechten Ernte? Jetzt haben sie aber gele- sen, dass die Anbauprämien für den biologi- schen Landbau höher sein sollen als für den konventionellen — da müsste man sich die Sa- - che doch ernsthaft überlegen. Biolandbau als Alternative? Schade ist, dass die biologischen Produkte zu selten separat vermarktet werden, sonst könnte vielleicht auch ein etwas höherer Er- trag herausschauen. Aber da muss sich dann halt der Bauer vielleicht selber darum küm- mern. Gustav ist gerne Bauer. Aber es stört ihn, dass er von allen Seiten kritisiert wird. Die Leute klagen wegen den Subventionen, die Nahrungsmittel seien zu teuer im Vergleich zum Ausland, er würde zuviel Spritzmittel verwenden und den Boden und die Natur schädigen. Die Gesellschaft sollte sich ein- mal gründlich überlegen, was für eine Land- wirtschaft sie will, anstatt heute dies und morgen jenes vom Landwirt zu fordern. Schliesslich geht es nicht nur um die Milch- schwemme und ausgelaugte Böden, wovon die Bauern ja auch nichts haben, sondern auch um die Bauern als Menschen, die ein Recht auf eine einigermässen sichere Exi- stenz haben. Und diese können nicht alle drei Jahre einen neuen Kurs einschlagen, der hohe Investitionen verlangt und ein erhöhtes Risiko bedeutet. Vielleicht sollten die Bau- ern auch mit einem Tag der offenen Tür der Öffentlichkeit Gelegenheit geben, sich ein Bild vom heutigen Bauernstand zu machen, überlegt er sich, dann. ■
	        

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