Volltext: Liechtensteiner Umweltbericht (1984) (15)

Seite 4 Umweltkrise April 1984 zum vermeintlichen Nutzen des Anbaues. Die Trockenjahre ab Mitte der 1940er Jahre führ- ten zu Humusverfrachtungen und Schäden an den Kulturen. Schon 1944 wurde, jetzt im Wissen um den Nutzen der Gehölze für den Windschutz, in der nördlichen Landeshälfte jeder Baum und Strauch unter Schutz gestellt. Seit 1949 werden konsequent und nach Ge- samtkonzepten (Windschutz, ökologische Be- deutung, Landschaftsbild) Baum und Strauch wieder gesetzt. Inzwischen wurden auf rund 100 km Länge ca. 1,5 Mio. Bäume und Sträu- cher gepflanzt und das Gesamtvorhaben bis- her zu drei Vierteln erfüllt. Ein Musterbei- spiel der erkannten Fehlentwicklung und ein daraus abgeleitetes Handeln. Weitere Beispiele sind etwa in den Tendenzen zum naturnäheren Wasserbau oder in der Zu- nahme der Sensibilisierung für naturnahe Gartengestaltungen zu sehen. Wenn wir unsere Dörfer und Landschaften entseelen, entseelen wir uns selbst! Ein Schlussgedanke sei in Anlehnung an einen schweizerischen Geographieprofessor   erlaubt. Er spricht von der Nische, in der sich der Mensch wohl fühlt — vom Psychotop. Wir schufen innert kurzer Zeit immer mehr Steri- lität, zerstörten die Vielfalt. Der hochstämmi- ge Obstbaum, der einst unsere Dörfer als Hain umgab; mag hierfür ein Beispiel sein. Wir haben unsere Dörfer, unsere Landschaf- ten entseelt. Früher war der Bauernhof im Dorf angesiedelt, auch das Gewerbe war im Dorf. Heute trennen wir alles scharf auf, der 
Hof gehört in den Freiraum, das Gewerbe - auch das nicht emittierende — kommt in die Betriebszone. Wir erzeugen damit soziale Probleme und schaffen mehr Verkehrsströ- me. Strassenbau hat die Aufgabe des Verbin- dens, wir haben die Landschaft dem Auto angepasst. Wo bleibt da das Geborgene, die Möglichkeit der dauernden Identifikation? 
Künstler sind Mahner und häufig intuitiv Vor- denker unserer Gesellschaft. Sie lassen sich vor allem durch intakte Strukturen inspirie- ren. Ob Jäger, Malin, Schädler, Frommelt oder Tini Ospelt, sie alle orientieren sich an der Vielfalt. Wir haben uns zu entscheiden, ob wir mehr als Ein-falt wollen. Gesucht ist dann allerdings ein «anderes Schrittmass». Zeitleist — Umwelt — Wirtschaft Unser Denken bedarf neuer Formen, die nicht das Geld, sondern das Wesen des Menschen — 
in seinem Glanz und seinen: Elend — zum Urgrund haben. Als Mensch, dem das Geld Berufsinhalt ist, bin ich gespaltenem Verhalten ausge- setzt, wenn ich solche Dinge sage. Meine Antwort lautet mit Kant: «Der Mensch darf immer nur Zweck, aber niemals Mittel zum Zweck sein.» Kranke Umwelt, kranke Wirtschaft, kranke Menschen .. . Nennen wir das Unbehagen un- serer Tage: Die Krise. Sie greift bis ins Tiefste unserer Gesellschaft, jedes Einzelnen. Die Krise in ihrer Gesamtheit zu betrachten, füllte Bände. Obwohl die folgenden Gedanken auf 
die Umwelt- und Wirtschaftskrise zugespitzt sind, gelten sie dennoch für Die Krise schlechthin. Bei unserer Jugend beobachten wir, wie der Körper immer früher reif wird, der Geist je- doch nicht. Auf unsere Gesellschaft bezogen: wir sind physisch-materiell historische Grös- sen; geistig-seelisch aber sind wir seit der An- tike kaum weitergekommen. So wie die psy- chisch-physische Spannung im Jugendlichen sein Unbehagen ist, leidet unsere Gesellschaft unter dem geistig-seelischen Rückstand auf den materiellen, bald uneinholbaren Vor- sprung. Der Anlass für dieses Spannungsfeld ist das Denken. Denkfehler sind der Grund für Die Krise, das Unbehagen im Wohlstand. Einer dieser Denkfehler ist unser Verhalten zur Krise. Wir sagen, sie sei übel, schlimm. In einer kreativen Form des Denkens ist jede Krise der Ansatz zu Neuem, das seinerseits unerschöpflich ist. Erleben wir Die Krise als kreative Bewährung für eine geläuterte Zu- kunft! Geben wir kreativen Denkern unser Gehör, teilen wir ihren Optimismus! Tasten wir uns voran, wie dies in der Geschichte immer gewesen ist! Ein folgenschwerer Denkfehler ist, die Wirt- schaft verursache die Umweltkrise. Hinter- fragt man, wer denn die Wirtschaftsweise be- 
stimme, ist es die allgemeine Gesinnung der Menschen für einen bestimmten geschichtli- chen Abschnitt. Dies ist aber exakt der Zeit- geist! Wenn wir die Umweltkrise meistern wollen und dabei an der Wirtschaft herum- doktern, ist dies nichts anderes, als wenn wir mit Schmerztabletten •das Zahnweh heilen wollten: zwar scheinen die Schmerzen abzu- klingen — nur: sie kommen in kürzester Zeit umso stärker. Nicht die Wirtschaft verursacht die Umweltkrise, sondern der Zeitgeist da- hinter! Damit im Zusammenhang steht ein noch schwerwiegenderer Denkfehler: 
Das Denken in Splittern. Mit der arbeitsteiligen Wirt- schaftsweise ist uns ganzheitliches Denken ab- handen gekommen. Der Umweltler sieht nur die Umweltkrise und schimpft gegen den Wirtschaftler, der Wirtschaftler sieht nur die Wirtschaftskrise und schimpft gegen den Um- weltler. Der Experte sieht nur noch den win- zigen Teil seiner kleinen Welt: für ihn ist seine kleine Welt die grosse Welt — er sieht vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr. Wir denken in Splittern und haben den Blick auf das Ganze verloren. Die Denkform der Zukunft ist ganzheitlich, unserer Verantwor- tung in einer natürlichen Weltordnung einge- denk, getragen von einer Menschlichkeit, wie sie in den Grossen Religionen und Philoso- phien zum Ausdruck kommt. Dieses künftige Fortsetzung auf Seite 5
	        

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