[I. Satz: Tanzstück
In die Stille erklingt ganz leise eine
Geige. Was sie spielt, hat sie von der
Oboe gehört, es ist die verwandelte Horn-
Quart, der Hirtenruf,. Spielerisch versucht
sie es von dieser Seite, verharrt, erfühlt,
probiert. Wirbelt tanzend hinauf, hinun-
ter, dreht sich zu zierlichen Trillern, ver-
harrt noch einmal, ein letztes Mal auf
Zehenspitzen. Und nun beginnt der Tanz,
vdegleitet vom ganzen Orchester, sich
leidenschaftlich steigernd.
Wehender Haarschopf,
entfesselte Betörung,
dämonische Zaubermacht!
Hexlein der Walpurgisnacht!
Rudolf Wenaweser
Dann Wechsel des wirbelnden Tempos in
3inen zärtlich wiegenden °/s-Takt. Darüber
singt die Geige eine süsse, sehnsüchtig
schweifende Melodie in einem weiten
Bogen auf- und niedersteigend
Einladende Geste,
zärtlich hingebungsvolle
Musik der Bewegung!
Ewig unergründliches Weib!
Rudolf Wenaweser
Noch einmal beginnt der Tanz, wirbelt
von neuem hin und her, hinunter, hinauf
ınd bricht ab. In die Stille hinein rauscht
3in Trommelwirbel auf. In höchster Erre-
zung fallen alle Instrumente ein, steigern
sich zum ekstatischen Höhepunkt, bis die
Spannung nachlässt und die Geige noch
einmal den Hirtenruf des Anfangs «leise
zerklingend» spielt. Die Erscheinung ist
verschwunden.
III. Satz: Nachspiel
Alles hat sich gewandelt. Aus ungeradem,
rundem Dreier-, wird gerader Zweiertakt.
Aus dem tiefen Cello steigt das Horn-
Quart-Motiv des Anfangs und durchmisst
sehnsüchtig den ganzen Tonraum. Aus
Anfang, Hoffnung, Entwicklung ist Erin-
nerung und Sehnsucht geworden. Viola
und Englischhorn haben etwas Bitteres in
ihrem Ton. Traurigkeit, Schmerz.
Jetzt die Pauke, «gemessen» schreitend,
zrnst, unerbittlich: Wanderschaft, Ver-
gänglichkeit. Dazu die Violinen mit zar-
ten, unbestimmt flimmernden Tönen, wie
zin Schleier über allem, gebrechlich, ver-
wundbar.
Erinnerung wird wach an wiegende Zärt-
üichkeit. Doch bitter klagend erklingt die
zarte Geigenmelodie, jetzt vom Englisch-
horn gespielt, — verklingt — löst sich auf
wie ein Wolkengebilde.
Und wieder die Pauke, tief, dumpf. Noch-
mals Erinnerung an erste Bewegung,
erstes Aufwärtsschreiten im ersten Satz,
‚etzt aber auf ein Ende hin sich auftür-
nend in breiter werdendem Rhythmus,
sich gewaltig entladend, kathartisch. reini-
gend.
Das Cello macht den Abschied. Ein letz-
:;es Aufsteigen der Quartenkette. Nur der
Schritt der Pauke ist noch zu hören, ent-
’ernt sich, leiser werdend, ins Unhörbare,
in die grosse Stille.
November 1988
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