Armut, Kriege und Notzeiten
nussten ın der Franzosenzeit neue Lasten auf Land und Gemeinden
ibernommen werden. Zu den Kriegserlittenheiten der Franzosenzeit
ınd den Lasten der Einquartierungen kamen die Schäden durch Rhein-
überschwemmungen, Rüfegänge, Missjahre, so dass das Volk nicht nur
in Schulden steckte, sondern oftmals hungerte. Missernten konnten das
Land und seine Bewohner schnell in die Hungersnot treiben. Vorräte
waren im Lande keine vorhanden. Noch im 19. Jahrhundert besass
Liechtenstein keinen Kredit im Auslande. Ein Schreiben des Priors 2.
Gabriel Reinhard zu St. Johann in Feldkirch als Administrator des Für-
stentums Liechtenstein (Landvogt Grillot musste seiner Misswirtschaft
and seiner Streitereien mit dem Volke wegen 1771 vom Fürsten abge
setzt werden) berichtet über die armen Zustände im Lande von damals:
«Ich habe aller Orten Unordnung, Verwirrung, sträfliche Nachläs-
sigkeit und mutwillige Verwahrlosung des wahren Nutzen der Herrschaft
der Untertanen angetroffen... (kein Vorrat an Wein, weil der Wein billig
ab Torkel verkauft, wenige Viertel Veesen und Türken-Weizen
vorhanden) . . . Der Feldbau in Liechtenstein ist sehr gering und der vorjäh-
“ige Erwuchs an Feldfrüchten bereits aufgezehrt. Der gemeine Mann ver-
mag nicht für ein Mälterlein Korn 40 Gulden zu zahlen und man lässt ihn
2rgendswo andere Feldgewächse kaufen. Die Herrschaftl. Kornböden sind
leer und die Herrschaft mithin unvermögend, ihm beizuspringen. Ist die
Not nicht unübersehlich und wie wird es in Zukunft und bis ch der Ernte,
oder wenn diese gar fehlen sollte, hienach erst gehen, nachdem schon der-
malen ansonst nıcht unbegüterte Untertanen dem Bettel nachziehen müs-
;en? Wenn Eure Durchlaucht das Geschrei und das Winseln und die Klagen
der Untertanen hörten, ich weiss, Höchstdieselben müssten das Verfahren
Höchst dero Beamten verabschenen.
Die Gemeinde Triesen klagt wehmütig, dass sie in einer starken
Schuldenlast stecke, worin sie hauptsächlich durch Intrigen, teils durch die
versagte Justiz des Oberamtes und hiedurch wiederholt kostspielige Kom-
missionen versenket worden. Da sie nun um sich diese Bürde vom Halse zu
bringen, sich irgendwo die hiezu erforderlichen Gelder selbst, unter Ver-
vfändung all ihrer Hab und Güter zu besorgen bestrebet, habe sie erfahren
müssen, dass der Grillotsche Adjudant Landammann Jäger ihr bei allen
Gläubigern den Riegel gestecket und den Kredit dergestalten geschwächt,
dass es nicht ehe gewesen, nur einen Groschen aufzutreiben. Diesem
nächsten geschah mir die Anzeige, dass Armut, Hunger und Mangel unter
denen Untertanen so sehr eingerissen, dass sie besonders bei der mühseligen
Strassenbauarbeit, bei welcher die wenigsten einen Bissen Brot zu verzeh-
ren hätten, beinahe zu Grunde gehen müssten. Die Herrschaft kann ıhnen
nicht aus ihren leeren Fruchtkästen zu Hilfe kommen. Und einige, die noch
mit kleinem Vorrate versehen, verführen solchen, der besseren Losung hal-
ber teils heimlich, teils öffentlich aus dem Land. Nach der Abreise der
Kommission hält man sich nicht mehr an das frühere Verbot... und über-
haupt wird für die Untertanen weder durch die Handhabung der Polizei
noch durch eine gehörige Rechtspflege gesorget, somit wird nirgends die
Spur eines Regiments beobachtet.
Endlich jammert das Land, dass in dem ganzen Fürstentum weder
ein Medicus noch ein erfahrener Chirurgus, ja nicht einmal eine gelehrte
Hebamme vorhandeh sei, so dass von Zeit zu Zeit viele Kranke und sowohl
Mütter als Kinder aus Mangel der bedürftigen Hülfe verwahrloset werden.
Ich war unlängst ein Augenzeuge des Elends, da in der Gemeinde Trisen
eine Menge Menschen an einer epidemischen Krankheit hülflos dahinstarb,