Körper und Kopf
Wir selbst als Menschen, jeder Einzelne in seiner unverwech-
selbar gewordenen Eigenart, erleben in unserm Körpergefühl
das Wesen des Plastischen in Volumen und Masse und Bean-
spruchung des Raumes. Aus dieser Tiefe begann das erste
Formen des Menschen im tastenden Spiel seiner Hände mit
dem Stoffe der Erde, mit Knochen und Hörnern, mit Lehm und
Ton und Holz. Nur ganz wenige Zeugnisse des Formsuchens
dieser Art eines steinzeitlichen Menschen sind uns erhalten
geblieben.
Indem der Mensch Zeichen setzte, die aus der Natur ge-
nommen, aber nicht Natur waren, sondern vom Menschen
geschaffen wurden, suchte er sich in der ihm viele Fragen
stellenden Natur zurecht zu finden. Es erscheinen Ordnungen
von Strichen, Punkten und Aushöhlungen auf Felsen und
Steinen, die vermuten lassen, dass sie Reaktionen, versuchte
Antworten auf kosmische Erfahrungen im Erleben der Tage,
Nächte, Jahreszeiten, des Wetters und der Gestirne sind;
Zeichnungen, Ritzungen, Malereien und Modellierungen
erscheinen, die die Tierwelt vergegenwärtigen. Es erscheinen
Vulva- und Phallus-Darstellungen sowie abgeklatschte, kon-
turierte Hände, die im Zusammenhang mit der Fruchtbarkeits-
magie stehen. Alles legt Zeugnis ab vom Verhältnis des in
seiner Umwelt bedrohten Menschen zur Natur.
In dieser zoomorphen Frühzeit spielte die menschliche
Gestalt eine verschwindende Rolle. Als der Mensch in seiner
Entwicklung zur Darstellung des Menschen in Modellierung
und Rundplastik kam, formte er den nackten Körper der Frau,
einen Akt. Diese Gebilde entstanden wohl aus dem Verlan-
gen, der erstaunten Wahrnehmung Ausdruck zu verleihen,
dass die Frau das neue Leben und damit das Weiterleben des
Geschlechts schenkte. Die Dame von Laussel und die Venus
von Willendorf(Kalkstein, ca. 20 000 v. Chr.) sind Kultobjekte in
der Verehrung der Magna Mater. Sigfried Giedion hat in seiner
Einleitung zu seinem grundlegenden Werk «Die Entstehung
der Kunst» (Köln 1964; S. 14) notiert: «Die heutige Kunst
entstand aus einem tiefen Bedürfnis nach elementarster