Staatlicher und kirchlicher Zuständigkeitsbereich
2. Abschnitt:
DIE GELTENDE RECHTSLAGE
$ 3. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht
Vor dem verfassungsgeschichtlichen Aufriß, der die markantesten
Grundlinien der Entwicklung herauszuschälen bestrebt war, ist
die Frage der kirchlichen Eigenständigkeit in die richtige Relation
zu den staatskirchentechtlichen Normen zu rücken. Zunächst fängt
eine Realanalyse der gegenwärtigen Lage Restbestände des Staats-
kirchentums ein !, die die Staatskirchenordnung mitschleppt und die
es abzubauen gilt. Die Begegnung mit der liechtensteinischen Staats-
kirchengeschichte lehrt, daß gerade ein der Kirche wohlwollend
gegenübertretender Staat, schwer tut, sich von einer aus «altmonar-
chischer» Verantwortlichkeit abgeleiteter und weiterwirkender
Kirchenhoheit zurückzuziehen. Bekannte Tatsache ist auch, daß der
Katholizismus, wo er noch einen nahezu geschlossenen Raum an-
trifft, zum System der Staatskirche hinneigt 7. Eine zu starke Anleh-
nung der Kirche an den Staat, dessen Verfassungsordnung den
konfessionellen Tertitorialstaat noch nicht ganz überwunden hat ©,
kann sich nur nachteilig für sie auswirken: Sie ist in ihrer geistlichen
Freiheit und Entfaltung der auftragsmäßigen göttlichen Sendung
gehemmt, da sie zu sehr in den Sog staatlicher Interessenwahrneh-
mung gerät. Dem Pfarramt ist noch heute das staatliche Zivilstands-
amt überbunden. Es leuchtet ein, daß sich der Staat dadurch einen
Einfluß und ein Kontrolltecht verschafft. Der eigenständige kirch-
liche Bereich wird eher verwischt als aufgehellt. Die Verfassungs-
entwürfe von 1848 und 1861/62 und die Verfassungsordnung der
«konstitutionellen» ‚Ära bis herauf in die Gegenwart vermitteln
manchmal den Eindruck, als ob keine strenge Bereichsscheidung
eingehalten worden sei. Noch immer ist ein Ineinandergreifen von
ı Z. B. das konfessionelle Eherecht,
2 So SCcHEUNER, KuSt 182. Das gleiche Bild vermitteln die Verfassungsverhand-
‘ungen des Staates mit dem Ordinariate zu Chur von 1921,
3 Ein Erbstück ist der Begriff «Landeskirche».
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