Kirchenrechtliche Disparität
$ 5. Die kirchenrechtliche Disparität
Über die Normierung des staatsbürgerlichen Gleichheitssatzes hinaus
ist der Verfassungsgeber nicht gegangen. Die kirchenrechtliche Pari-
tät, die die wechselseitige Unabhängigkeit der Religionsgemeinschaf-
ten. im Staate in ihrem Rechtsverhältnis untereinander *! zum Inhalt
hat, ist nicht verwirklicht in der geltenden Verfassung. Dieser kirchen-
cechtliche Ordnungsgedanke muß vornehmlich durch die Existenz
einer «ecclesia dominans» zum Scheitern verurteilt sein. Die neural-
gischen Knotenpunkte, die sich einem paritätischen Staate zur Lö-
sung aufdrängen, wie z. B. die religiöse Kindererziehung aus gemisch-
ten Ehen, der Besuch der öffentlichen Schulen ohne Beeinträchtigung
det Glaubens- und Gewissensfreiheit, werden, durch das konfessio-
nelle Ehetecht bzw. das Schulgesetz von 1929 verdeckt und bleiben
zum Schutze der religiösen Interessen des überwiegend katholischen
Volkes übersehen und im Dunkel.
Nur gerade die Staatspraxis läßt in der Zuteilung von Beiträgen
aus den Mitteln der Gemeinden an die evangelischen Religionsge-
meinschaften entsprechend der Zahl ihrer Angehörigen leise Ansätze
eines kirchenrechtlichen «Paritätsgefühls» durchschimmern *
1 So KAHL, Lehrsystem 397; IseLg, StKR 574.
2 In einem Schreiben des Landtagspräsidenten an die Regierung vom 7. Januat
1965, LRA. Landtagsakten Jg. 1959 Akt Nr. L 2, heißt es: «Der Landtag hat in
seiner nichtöffentlichen Sitzung vom 29. Dezember 1964 Ihren Bericht über die
Beiträge an die nichtkatholischen, christlichen Religionsgemeinschaften zur Kennt-
nis genommen. Gemäß diesem Bericht werden der evangelischen Kirchgemeinde
Vaduz Fr. 16 024.90 und der evangelischen Kirchgemeinde Augsburger Bekennt-
3is Fr. 7 441.10 zugewiesen. Diese Beiträge werden den Gemeinden entsprechend
der Anzahl der dort wohnhaften Mitglieder dieser Bekenntnisse angelastet.»
Die Begründung dieser Beitragsleistung findet sich im Bericht an alle Gemein-
devorstehungen vom 29. April 1964, Landtags-Protokolle 1964 Bd. II, 427:
«Mit Rücksicht darauf, daß die Protestanten in gleicher Weise Steuerträger sind
‚wie die übrigen Einwohner, daß es Aufgabe der Gemeinden ist, die Unkosten der
Seelsorge zu bestreiten (Ruggell hat beispielsweise im Jahre 1963 für den katho-
lischen Kultus Fr. 19 000.—, Eschen inkl. Nendeln Fr. 36 000.— ausgegeben),
ınd daß eine seelsorgerliche Betreuung auch den nichtkatholischen christlichen
Bekenntnissen gewährleistet werden soll und von großer Bedeutung ist,...».
Weiter wird in diesem Bericht festgehalten: «Es versteht sich von selbst, daß
sin eigentlicher finanzieller Rechtsanspruch für die Religionsgemeinschaften auf
Grund dieser praktischen Lösung nicht entstehen kann.»
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