510
die Sache vorgebracht und um Satisfaktion gebeten. Die Rast
tage sollen auf östreichischem Gebiete gehalten und das Volk
in einem Marsch durch unser Territorium geführt werden.
Auch sollen die Truppen das, was sie verzehren, bezahlen. Er
empfahl den Beamten Wachsamkeit. »
So wurden die kleinen Reichsstände von den größeren
stets gedrückt und geplagt. Dennoch blieb das deutsche Reich
durch sein Alter und die Erinnerungen, die sich an dasselbe
knüpften, eine ehrwürdige Erscheinung, und die Geschichte kennt
kein Beispiel von einem so seltsamen und vielgegliederten
Staatskörper. Nichtdeutsche Mächte wie Dänemark, England,
Schweden waren wegen einzelner Besitzungen Stände des
Reichs und stimmten auf Reichstagen. Der Kurfürst von
Brandenburg führte seit 1701 wegen Preußen den Königstitel.
Dem neugewählten Kaiser legten die Stände eine Wahlkapi
tulation vor, d. h. gewisse Bedingungen, unter denen er sein
Amt verwalten sollte, und dabei vergaßen sie nicht, ihre lan
desherrlichen Rechte zu wahren und zu mehren. Vorzüglich
drangen sie darauf, daß die Landstände und Untertanen eines
jeden Reichsstandes zum Unterhalt der Reichsgerichte, der
Landesverteidigung, Reichsanlagen usw. sollten zur Beihilfe
gezogen werden dürfen, und daß keinerlei Privilegien vor sol
chen Lasten schützen und die Reichsgerichte keinerlei derartige
Klagen der Untertanen gegen ihre Herren annehmen sollten.
Deshalb wurden auch den Landschaften Vaduz und Schellen
berg die Verträge von 1614 und 1688 nicht gehalten. Land
stände oder Landsaßen nannte man den Adel, die höhere Geist
lichkeit und die Städte, alles andere waren Untertanen. Je
größer die Macht der Reichsstände in ihrem Lande und über
ihre Untertanen wurde, desto weniger galt der Kaiser. Zwischen
den Reichsständen selbst wurde die Einigkeit durch Eifersucht,
Rangstreitigkeiten und die Verschiedenheit der Religion getrübt.
Die religiösen Besorgnisse wurden stets wach erhalten, zumal
da die Mitglieder des Jesuitenordens und andere Volksmissio-
näre sich Mühe gaben, die Abgefallenen zum alten Glauben
zurückzuführen. Einigkeit und Vertrauen zwischen dem Kaiser
und den Ständen hätten Großes leisten können, aber beide fehl
ten in den entscheidenden Augenblicken und nur zu oft schlossen
sich deutsche Stände an auswärtige Mächte gegen Kaiser und
Reich an. So kam es, daß die Reichskriege ohne Nachdruck ge
führt zum Nachteil des Reiches endeten. So wenig belebte
vaterländischer Sinn die Herren und ihre Ratgeber, daß Frank
reich schon damals den Plan zum Umsturz des deutschen Nei-