I. Abschnitt.
Rätien bis zur Herrschaft der Franken.
1. Die vorrömische Zeit.
Das Gebiet des heutigen Fürstentums Liechtenstein war
schon viele Jahrhunderte vor Christi Geburt bewohnt, zu
einer Zeit, da man die Werkzeuge aus Stein, Holz, Bein
und Bronze verfertigte und das Eisen noch nicht kannte.
Das Volk vom Nordabhange der Alpen bis zum Boden
see gehörte dem großen Volksstamme der Kelten (Gallier)
an, der in grauer Vorzeit aus Asien eingewandert war. Das
Alpenland von Como und Verona in Italien bis zum Boden
see hieß Rätien und das Volk Rätier oder Räter. Der
Name stammt wahrscheinlich vom keltischen Worte rait, d. h.
Gebirge und bedeutet also soviel als: das Volk des Gebirges.
Daß die Rätier Kelten waren, beweisen die vielen noch im
Gebrauch stehenden keltischen Ortsnamen. Solche sind z. B.
And (Anhöhe bei Balzers), Lida, Mailis, Trisa, Bendur, Esche,
Scana, die Alpnamen Guschg, Guschgfiel, Gapfal u. a.
Am Südabhange der Alpen aber hatten sich Etrusker an
gesiedelt, nachdem sie um 500 v. Chr. durch die einfallenden
Gallier aus ihren Sitzen in der Poebene verdrängt worden
waren.
Zu diesem alten Rätien gehörten also die jetzigen Ge
biete: Kanton Graubünden, Liechtenstein, Kanton St. Gallen,
Vorarlberg und Tirol bis zum Zillertal.
Die Rätier zersplitterten sich in viele kleine Völkchen,
und jedes größere Alpental war von einem eigenen Zweig
bewohnt. Die Rätier, welche von Chur abwärts bis zum
Bodensee wohnten, hießen Venoneter. Sie sind von allen
rätischen Volksteilen am häufigsten von den alten Geschichts
schreibern genannt. Sie ragten also offenbar durch die Größe
ihres Gebietes und ihrer Volkszcchl hervor.
Das Land zwischen Bodensee und Donau hatte den Na
men Vindelizien. Bregenz, das schon zur Keltenzeit
eine Stadt war, lag auf der Grenze von Rätien und Binde-