Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2000) (99)

REZENSIONEN / «SPUREN SUCHEN, DIE ZUM WAHN- SINN DER SHOAH FÜHRTEN ...» Neuen Testaments, wonach «die Juden» am Tode von Jesus Schuld trügen und als «Gottesmörder» für alle Zeit die Strafe der Verfolgung zu erleiden hätten. Seit der Aufklärung des 18. Jahrhunderts entstand bis ins 20. Jahrhundert, teils aus Wurzeln des christlichen Antijudaismus, ein «moderner» Antisemitismus: Dieser grenzte die Juden als «An- tisymbol» aus, entweder mit nationalistischer oder mit rassistischer Begründung. Der erstere, der mo- derne Antisemitismus nationalistischer Ausrich- tung, verband religiös tradierte Judenfeindlichkeit mit modernen nationalistischen Ideologien. Die zweite Ausrichtung des modernen Antisemitismus ist der biologistisch begründete «Rassen»-Antise- mitismus. In beiden Ausrichtungen fand der «mo- derne» Antisemitismus in den Juden zugleich die Verursacher gesellschaftlicher Modernisierungskri- sen: Alles Negative an der modernen Welt wurde auf sie projiziert. Der Antisemitismus der National- sozialisten war vorab Rassen-Antisemitismus, ver- quickte mit diesem aber auch alle andern antisemi- tischen Begründungen und spitzte sie tödlich zu. In der Frage - hier bei den Katholiken -, ob zwi- schen dem traditionellen, christlichen Antijudais- mus und dem modernen Antisemitismus Konti- nuität oder aber Diskontinuität besteht, vertreten Forscher unterschiedliche Standpunkte. Altermatt sieht aufgrund seiner Untersuchungsergebnisse die «Ambivalenzthese» bestätigt: Diese nimmt die Wi- dersprüche in den Stellungnahmen der katholi- schen Kirche und vieler Katholiken zur Kenntnis, und statt sie zugunsten der (anklagenden) Konti- nuitätsthese oder zugunsten der (eher entlastenden) Diskontinuitätsthese auflösen zu wollen, wird fest- gestellt, dass - generalisierend gesprochen - die Katholiken zwar den «Rassen»-Antisemitismus ab- lehnten, aber zugleich den «christlichen» Antise- mitismus unterstützten, welcher mit antijüdisch verstandenen antiliberalen und antikapitalistischen Stereotypen angereichert war. Nochmals differen- zierend, vertritt Altermatt daher eine «partielle Kontinuitätsthese», warnt aber zugleich vor ra- schen Schlüssen. Nicht nur war der damalige Ka- tholizismus sehr komplex - wie wohl auch der heu- tige -, ebenso waren der Antisemitismus und der 
«Anti-Antisemitismus» im Katholizismus «verwir- rend, ja doppeldeutig». Die Aussage von Katholiken, sie seien gewiss keine Antisemiten (gewesen), be- trifft mitunter nur den radikalen Rassen-Antisemi- tismus, nicht aber den latent doch vertretenen christlichen Antisemitismus. FATALER «ERLAUBTER» ANTISEMITISMUS Seinerzeit wurde eine verbreitete Unterscheidung getroffen, jene zwischen «erlaubtem» Antisemitis- mus und «radikalem», unzulässigem Antisemitis- mus. Altermatt zeigt, wie auch in der Schweiz und gerade in katholischen Kreisen das Bestehen einer «Judenfrage» diskutiert und bejaht wurde, wie «die Juden» als fremde, nicht integrationsfähige, übermässig einflussreiche Gruppe, von der eine «Überfremdung», eine «Verjudung» verschiedener Bereiche, eine Gefahr für christliche Religion und Werte ausgehen könne, wahrgenommen wurden. Solche Auffassung galt als «erlaubter» Antisemitis- mus, während zugleich der auf Hass bauende und Gewalt anwendende Rassen-Antisemitismus als unchristlich und unmenschlich abgelehnt wurde. So schrieb Karl Wiek als Redaktor der <Ostschweiz> 1920, man müsse aus kulturellen Gründen Antise- mit sein, aber in der Verneinung des Judentums die richtigen Wege gehen, nämlich nicht durch Juden- pogrome, sondern indem man «den Juden in der eigenen Brust» ausrotte (S. 106). Und 1933, anläss- lich des Boykotts jüdischer Geschäfte in Hitler- deutschland, schrieb der katholisch-konservative Redaktor und Zuger Ständerat Philipp Etter, der im Jahr darauf Bundesrat wurde, in den <Zuger Nach- richten), «jede Verfolgung Andersdenkender aus Gründen der Rasse oder des religiösen Bekenntnis- ses» sei abzulehnen, aber zugleich taxierte er doch die Juden als «zersetzende Kräfte», von denen eine «unheilvolle Wirkung» auf die deutsche Kultur aus- gegangen sei; das freilich, fügte er an, rechtfertige Verfolgung nicht (S. 107). Etters Beispiel ist exem- plarisch für die ambivalente «Doppelargumentati- on». Altermatt weist zurecht darauf hin, dass die Unterscheidung zwischen erlaubtem und verbote- 271
	        

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