Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2000) (99)

auch politisch engagierte. Dies stand im Gegensatz zum Geist der Pfadfmderbewegung, dem in den 1935 beschlossenen neuen Statuten wie folgt Aus- druck verliehen wurde: «Das Korps hängt mit kei- ner politischen Körperschaft zusammen und darf in keiner Weise mit Parteipolitik, irgendwelcher Art, in Verbindung gebracht werden. Wer in der Pfadfmderbewegung ein Amt bekleidet und in der Politik eine prominente oder aktive Rolle spielt, hat sich sofort von der Bewegung als aktiver Pfadfinder zurückzuziehen. Die Führung jeder [Pfadfinder-] Gruppe soll das Vertrauen der Regierung und der ganzen Bevölkerung gemessen».13 Im Jahre 1933 gehörte Carl von Vogelsang zu den Gründungsmit- gliedern und zur Leitung des «Liechtensteiner Hei- matdienstes», einer politischen Vereinigung, die in Liechtenstein nach österreichischem Vorbild einen autoritären Ständestaat einführen wollte. Der «Liechtensteiner Heimatdienst» war zunächst eine gegen den Parteienstreit gerichtete Organisation. Antisemitisch und nationalsozialistisch gesinnte Kräfte, zu denen auch Vogelsang gehörte, gewan- nen jedoch immer stärkeren Einfluss.14 Bereits im Jahre 1934 hatte Alexander Frick, Leiter der Pfad- fmderabteilung Schaan, die Fürstliche Regierung darüber unterrichtet, dass Vogelsangs politisches Engagement unvereinbar mit dem pfadfinderi- schen Wirken sei. 
13 Frick hatte vergeblich ver- sucht, Vogelsang von dieser Unvereinbarkeit zu überzeugen.16 Aufgrund seines politischen Agie- rens musste Vogelsang schliesslich Ende 1934 oder Anfang 1935 die Pfadfinderschaft verlassen.17 Dennoch blieb Vogelsang mit der Pfadfmderbe- wegung auf eine andere Art verbunden. Am Ju- biläumslager der österreichischen Pfadfinderschaft in Laxenburg bei Wien im Sommer 1936 nahm auch eine 12-köpfige Delegation aus Liechtenstein teil. Mit dabei war Helmuth Isenberg,18 Sohn des jüdisch-deutschen Bankiers Sally Isenberg.19 Über das Verhalten von Helmuth Isenberg im Pfadfinder- lager verfasste Vogelsang einen detaillierten Spit- zelbericht:20 «Die österreichischen katholischen <St. Georg>-Pfad- finder hatten in Laxenburg bei Wien ihr 10. Ju- biläumslager. Dazu waren auch die katholischen 
Pfadfinder Liechtensteins eingeladen. Zu diesen drängte sich plötzlich der junge Helmut Isenberg, er wollte mit. Man sagte ihm zuerst, es ginge doch nicht, weil er Jude sei, ... Jung Isenberg brachte es ...so weit, dass man ihn als Gast mitliess und ihm die liechtensteinische Uniform lieh. Dafür fuhr Vater Sally die ... Pfadfinder morgens zur Bahn nach Feldkirch und lieh ... den Pfadfin- dern 2 Zelte. Das Geschäftchen war also gemacht. Man fuhr nach Wien-Laxenburg. Jung Isenberg nahm eine Mundharmonika mit, konnte aber nicht recht spielen. ... Am ersten Tag [im Lager] arbeitete jung Isen- berg so lange, bis sein Zelt aufgestellt war. Dann ging das Jüdlein daran, Abzeichen mit anderen Freunden zu tauschen und zu handeln. Um die Ar- beitsteilung kümmerte er sich gar nicht mehr. Er beredete stets jüngere Pfadfinder, wenn er Lager- dienst haben sollte, für ihn die Arbeit zu tun. Einen Tag hatte er Ausgangserlaubnis, er blieb aber 2 Tage und 2 Nächte ... weg und zog in Wien mit ei- ner Jüdin herum ... [Es werden mehrere Zeugen genannt] Vaduz: 3. August 1936 v. Vogelsang» Im besagten Pfadfmderlager in Laxenburg dabei - und wahrscheinlich Vogelsangs Informant - war Au- gust Müssner,21 geboren 1920, der dann 1938 Mit- glied der «vorläufigen Landesführung» der «Volks- deutschen Jugend» Liechtensteins, der einheimischen HJ, wurde. Er arbeitete für Vogelsang, der seit an- fangs 1936 Redaktor beim «Liechtensteiner Vater- land» war. Müssner fungierte im Büro des «Vater- land»-Redaktors als Hilfskraft.22 Gegen das antisemitische Agieren von Vogelsang und Müssner gab es Widerstand innerhalb der Pfadfmderschaft. So schrieb der Vaduzer Pfadfin- derführer Marzeil Sele am 4. August 1936 einen Brief an den Fürsten, in dem er sich ausdrücklich gegen das Verhalten von Müssner verwahrte: «Hier [in Wien] angekommen, mussten wir mit Er- staunen feststellen, dass Müssner hinter unserem Rücken, ohne unser Wissen und gegen das aus- drückliche Verbot, an das Vaterland 3 Artikel vom Stappel gelassen.23 Wir sind nun mit dem offiziel- 222
	        

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