Umgekehrt pflegten die SD-Meldungen eine opti-
mistische, durch VOMI-Berichte 1938 und 1939
eingeführte Auffassung der liechtensteinischen In-
nenpolitik. Der Vizeregierungschef galt demnach
als «Vertrauensmann», «Aussenposten»'!®° und ver-
deckter Anschlusspolitiker, die VU als Haus der
Umsturzbetreiber. Vogts Regierungsloyalität wäre
ın dieser Sicht nur vorgetäuscht gewesen. !*‘
Lassen sich die je einseitigen Perspektiven der
Beteiligten verbinden?
Alois Vogt kommt in den Besprechungsange-
doten nur vermittelt zu Wort, auch die deutschen
Interessen bleiben an wichtiger Stelle im Dunkeln.
Zu einer Verständigung des zuständigen SD-Offi-
ziers Bunsen im RSHA vermerkt der Korrespon-
dent im Auswärtigen Amt, Picot: «Wir hätten an
ainem Putsch [in Liechtenstein, d. Verf.] nicht das
geringste Interesse. Über die politischen Hinter-
gründe habe ich Herrn Bunsen nicht orientiert.» '®5
DAS GEDÄCHTNISPROTOKOLL
VOM 14. OKTOBER 1940 ALS NACHRICHTEN-
VORGANG
Zu Motiven und Absichten von Vogts Kontakt-
versuchen geben die Quellen keine direkten Auf-
schlüsse, allerdings können einige Begleitumstände
und Hintergründe präzisiert werden. Als Schlüssel-
text hierzu erweist sich das vom SD behändigte
«Gedächtnisprotokoll» einer Besprechung Vogts im
PD in Bern vom 14. Oktober 1940.!®9
Alois Vogt besprach sich in Bern mit Legations-
rat Dr. Peter Anton Feldscher zu einer von Liech-
‚enstein gewünschten Gleichbehandlung liechten-
steinischer Arbeitsuchender in der Schweiz. Wenig
später, am 24. Oktober, verfügte der SD über eine
«zusammengefasste Darstellung der über eine
Stunde dauernden Besprechung».!®”” Laut Heinz
Jost, dem zuständigen SD-Führer, habe ein Verbin-
dungsmann das Protokoll beschaffen können. Ohne
auf dessen Inhalt näher einzugehen, wertet Jost
den Nachrichtenvorgang als Gelegenheit, Vogt
deutscherseits zu instruieren. Über die näheren
Umstände der Protokollverfassung und -beschaf-
fung schweigen sich die Quellen aus, der von Jost
erwähnte «VM» des SD bleibt anonym. Was spricht
dafür, dass die Protokollzuspielung im Interesse
und mit Wissen Alois Vogts erfolgte?!”
Die Protokollbeschaffung für Jost fügt sich in die
Reihe der deutscherseits registrierten Kontakt-
versuche Alois Vogts ein. In dem im September von
Heydrich an Ribbentrop gemeldeten Herantreten
Vogts an eine SD-Dienststelle firmiert die Nachrich-
tengruppe Westeuropa des SD als meldungs-
zuständig.!?*? Die Vorsprache Peter Rheinbergers
und Josts Schreiben wurden ebenfalls in der West-
2uropa-Gruppe behandelt. Auch im Protokolltext
finden sich Entsprechungen zu den früheren und
späteren SD-Berichten. Der EPD-Vertreter drängte
gemäss Protokoll auf eine klare Loyalitätserklärung
Liechtensteins gegenüber der Schweiz. Laut einer
irüheren SD-Meldung habe Vogts Beauftragter
Rheinberger von einem bevorstehenden schweize-
rischen Ultimatum zu einem «wirtschaftlichen und
politischen Anschluss» gesprochen.'?® Im Protokoll
hegt Feldscher Zweifel an Liechtensteins aussen-
„olitischer Zuverlässigkeit. Er führt Umsturzge-
rüchte und Anschlussforderungen ins Treffen. Von
Anschlussangeboten berichten auch die SD-Mel-
dungen, Alois Vogt erscheint hier als deren inoffi-
zieller Unterhändler; seiner Gesinnung nach ein
VDBL-Mann.
Welche Personen und welche Wahrnehmungen
bestimmten Vogts Meldungslinie zum SD?
Zu den SD-Führern in Berlin, dem damaligen
Leiter der Westeuropa-Gruppe Bielstein und des-
sen Chef Heinz Jost, dürfte Vogt keine persönliche
Verbindung gehabt haben. Allerdings kannte er
<laus Huegel. Zur Zeit der Kontaktvorstösse führte
Huegel die schweizerisch-liechtensteinische Ge-
heimdienstarbeit im SD Stuttgart und war Bielstein
und Jost in Berlin unterstellt. Klaus Huegel teilte
mit, dass er sich an den Nachrichtenvorgang im
Oktober 1940 nicht erinnern könne, '”* er hätte sich
damals in Stuttgart einarbeiten müssen. Diese An-
gaben sind mit Vorsicht aufzunehmen. Seiner
Beauftragung nach war Huegel für die Auskund-
schaftung und Verbindungsaufnahme im Raum
Schweiz/Liechtenstein eingesetzt. Mit Vertretern