ULI MARISS —- «<VERRÄTER UND WETTERDÄMON»
MANFRED TSCHAIKNER
vermeintliche Verräter, der nach seinem Tod keine
Ruhe finden konnte und als Gespenst weiter sein
Unwesen treiben musste, erscheint nun als bedeu-
tender Wetterdämon. Seine verderbliche Tat von
1499 hatte Mariss, den Stammvater von Hexen,
noch stärker als diese - nämlich für alle Zeiten
zur Bedrohung für die (bäuerlichen) Menschen
gemacht. Als Herr über das Wetter versuchte man
ihn wie die Hexen magisch beziehungsweise durch
einen (volks-J)religiösen Ritus zu bannen.‘*
Blieb im Vergleich dazu die Rolle des Uli Mariss
in der Frastanzer Tradition nicht eigentlich be-
scheiden? In der Prugger’schen Chronik von 1685
heisst es nur, dass der Name des Verräters
während einer jährlichen Flurprozession im Mai
von den Frastanzern «verlesen» worden sei. Aus
der Geschichte Vorarlbergs von Weizenegger-Mer-
kle (1839) erfährt man allein, dass bei den Umgän-
gen für die Opfer des Verrats von Uli Mariss gebetet
wurde.!* Peter Kaiser schreibt kurze Zeit später
sogar noch deutlicher, dass «bei dem jährlichen
Umgang in der Bittwoche für die Seelen der Gefal-
lenen gebetet oder, wie das gemeine Volk glaubte,
der Fluch über Uli Mariß gesprochen wurde, des-
sen Verrath so viel fromme Männer in den Tod ge-
bracht» hatte.
Diese Diskrepanz in der Wahrnehmung ist noch
über ein Jahrhundert später dokumentiert: Bei
seinen Recherchen um 1960 erfuhr Alexander
Frick vom damaligen Frastanzer Pfarrer, dass er
von einer Erwähnung des Uli Mariss im Rahmen
der örtlichen Flurumgänge selbst bei alten Leuten
nichts gehört habe, während gleichzeitig der Histo-
riker Meinrad Tiefenthaler erklärte, eine Verflu-
chung habe einst sehr wohl stattgefunden.!® Die
Angelegenheit erscheint allgemein sehr vage und
ist darüber hinaus nicht vor dem 19. Jahrhundert
nachweisbar.
Für den heute liechtensteinischen Raum liegen
ebenfalls keine früheren Angaben über eine rituelle
Verfluchung vor. Dennoch verweist ihre stärkere
Ausprägung darauf, dass der Vorstellungskomplex
von Uli Mariss dort entstanden ist.
Im Gegensatz zu Frastanz war seine Verflu-
chung durch die Frauen von Mauren nicht in die
Flurumgänge während der Bittwoche im Mai inte-
griert. Sie erfolgte ohne zeitliche Festlegung und
wies auch nicht erinnernden Charakter auf, son-
dern galt der Bekämpfung eines Wetterdämons,
der noch in der Gegenwart als wirksam erlebt
wurde. Die Vorgangsweise der Maurer «gegen» Uli
Mariss lässt diesen geradezu als Gegenstück eines
vegionalen Heiligen erscheinen. Wurde von kirchli-
chen Heiligen durch Bittgänge Zuwendung erfleht,
so glaubte man, durch eine rituelle Verfluchung des
Schaaner Verräters im Rahmen einer Prozession
das Gegenteil erreichen zu können. Dadurch blieb
noch lange über die Zeit der Hexenprozesse hinaus
eine weitgehend akzeptierte Form von indirekter
Hexenverfolgung im öffentlichen Raum möglich.
ZUSAMMENFASSUNG
Der historisch nachweisbare Bauer Uli Mariss aus
Schaan soll laut Sage einen Teil der eidgenös-
sischen Truppen vor der Schlacht bei Frastanz
1499 über die Berge in den Rücken der Österrei-
cher geführt und damit deren verlustreiche Nie-
derlage wesentlich mitverursacht haben. Eine Ein
8) Kaiser, Peter: Geschichte des Fürstenthums Liechtenstein. Nebst
Schilderung aus Chur-Räuen’s Vorzeit. 1847. Hrsg. von Arthur
Brunhart. Vaduz, 1989. 5. 433.
9) Ebenda, S. 387 [.; Tschaikner, Manfred: «Der Teufel und die
Hexen müssen aus dem Land ...». Frühneuzeitliche Hexenverfolgun
gen in Liechtenstein. In: Jahrbuch des Historischen Vereins für das
7ürstentum Liechtenstein, Band 96 (1998), S. 1-197, hier S. 13
10) Tschugmell, Fridolin: Schaaner Geschlechter 1227-1950. Kurzer
Auszug aus dem allgemeinen Familienbuch Schaan. In: Jahrbuch
des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Band 60
(1960). S. 71-157. hier S. 99.
11) Frick, 1962 (wie Anm. 2), S. 100.
12) Frick, 1967 (wie Anm. 2), S. 40.
13) Vgl. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Hrsg. von
Hanns Bächtold-Stäubli. Band 2. Berlin-New York, 1987 (Nachdruck
v. 1927), Sp. 1637.
14) Frick. 1962 (wie Anm. 2), S. 86 und 88.
15) Kaiser (wie Anm. 8), S. 326.
16) Frick, 1962 (wie Anm. 2). 5. 96 f.