Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1999) (98)

ULI MARISS —- «<VERRÄTER UND WETTERDÄMON» 
MANFRED TSCHAIKNER 
vermeintliche Verräter, der nach seinem Tod keine 
Ruhe finden konnte und als Gespenst weiter sein 
Unwesen treiben musste, erscheint nun als bedeu- 
tender Wetterdämon. Seine verderbliche Tat von 
1499 hatte Mariss, den Stammvater von Hexen, 
noch stärker als diese - nämlich für alle Zeiten 
zur Bedrohung für die (bäuerlichen) Menschen 
gemacht. Als Herr über das Wetter versuchte man 
ihn wie die Hexen magisch beziehungsweise durch 
einen (volks-J)religiösen Ritus zu bannen.‘* 
Blieb im Vergleich dazu die Rolle des Uli Mariss 
in der Frastanzer Tradition nicht eigentlich be- 
scheiden? In der Prugger’schen Chronik von 1685 
heisst es nur, dass der Name des Verräters 
während einer jährlichen Flurprozession im Mai 
von den Frastanzern «verlesen» worden sei. Aus 
der Geschichte Vorarlbergs von Weizenegger-Mer- 
kle (1839) erfährt man allein, dass bei den Umgän- 
gen für die Opfer des Verrats von Uli Mariss gebetet 
wurde.!* Peter Kaiser schreibt kurze Zeit später 
sogar noch deutlicher, dass «bei dem jährlichen 
Umgang in der Bittwoche für die Seelen der Gefal- 
lenen gebetet oder, wie das gemeine Volk glaubte, 
der Fluch über Uli Mariß gesprochen wurde, des- 
sen Verrath so viel fromme Männer in den Tod ge- 
bracht» hatte. 
Diese Diskrepanz in der Wahrnehmung ist noch 
über ein Jahrhundert später dokumentiert: Bei 
seinen Recherchen um 1960 erfuhr Alexander 
Frick vom damaligen Frastanzer Pfarrer, dass er 
von einer Erwähnung des Uli Mariss im Rahmen 
der örtlichen Flurumgänge selbst bei alten Leuten 
nichts gehört habe, während gleichzeitig der Histo- 
riker Meinrad Tiefenthaler erklärte, eine Verflu- 
chung habe einst sehr wohl stattgefunden.!® Die 
Angelegenheit erscheint allgemein sehr vage und 
ist darüber hinaus nicht vor dem 19. Jahrhundert 
nachweisbar. 
Für den heute liechtensteinischen Raum liegen 
ebenfalls keine früheren Angaben über eine rituelle 
Verfluchung vor. Dennoch verweist ihre stärkere 
Ausprägung darauf, dass der Vorstellungskomplex 
von Uli Mariss dort entstanden ist. 
Im Gegensatz zu Frastanz war seine Verflu- 
chung durch die Frauen von Mauren nicht in die 
Flurumgänge während der Bittwoche im Mai inte- 
griert. Sie erfolgte ohne zeitliche Festlegung und 
wies auch nicht erinnernden Charakter auf, son- 
dern galt der Bekämpfung eines Wetterdämons, 
der noch in der Gegenwart als wirksam erlebt 
wurde. Die Vorgangsweise der Maurer «gegen» Uli 
Mariss lässt diesen geradezu als Gegenstück eines 
vegionalen Heiligen erscheinen. Wurde von kirchli- 
chen Heiligen durch Bittgänge Zuwendung erfleht, 
so glaubte man, durch eine rituelle Verfluchung des 
Schaaner Verräters im Rahmen einer Prozession 
das Gegenteil erreichen zu können. Dadurch blieb 
noch lange über die Zeit der Hexenprozesse hinaus 
eine weitgehend akzeptierte Form von indirekter 
Hexenverfolgung im öffentlichen Raum möglich. 
ZUSAMMENFASSUNG 
Der historisch nachweisbare Bauer Uli Mariss aus 
Schaan soll laut Sage einen Teil der eidgenös- 
sischen Truppen vor der Schlacht bei Frastanz 
1499 über die Berge in den Rücken der Österrei- 
cher geführt und damit deren verlustreiche Nie- 
derlage wesentlich mitverursacht haben. Eine Ein 
8) Kaiser, Peter: Geschichte des Fürstenthums Liechtenstein. Nebst 
Schilderung aus Chur-Räuen’s Vorzeit. 1847. Hrsg. von Arthur 
Brunhart. Vaduz, 1989. 5. 433. 
9) Ebenda, S. 387 [.; Tschaikner, Manfred: «Der Teufel und die 
Hexen müssen aus dem Land ...». Frühneuzeitliche Hexenverfolgun 
gen in Liechtenstein. In: Jahrbuch des Historischen Vereins für das 
7ürstentum Liechtenstein, Band 96 (1998), S. 1-197, hier S. 13 
10) Tschugmell, Fridolin: Schaaner Geschlechter 1227-1950. Kurzer 
Auszug aus dem allgemeinen Familienbuch Schaan. In: Jahrbuch 
des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Band 60 
(1960). S. 71-157. hier S. 99. 
11) Frick, 1962 (wie Anm. 2), S. 100. 
12) Frick, 1967 (wie Anm. 2), S. 40. 
13) Vgl. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Hrsg. von 
Hanns Bächtold-Stäubli. Band 2. Berlin-New York, 1987 (Nachdruck 
v. 1927), Sp. 1637. 
14) Frick. 1962 (wie Anm. 2), S. 86 und 88. 
15) Kaiser (wie Anm. 8), S. 326. 
16) Frick, 1962 (wie Anm. 2). 5. 96 f.
	        

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