Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1999) (98)

ULI MARISS - «VERRÄTER UND WETTERDÄMON» 
MANFRED TSCHAIKNER 
die Autoren die Überlieferung vom Hirten auf 
Amerlügen als «durchaus glaublich» bezeichneten: 
Er soll beim Herannahen des Feindes zur Warnung 
der österreichischen Truppen so lange ins Horn 
geblasen haben, bis er tot umfiel.‘ 
Der Vermerk im Frastanzer Jahrzeitbuch, der 
möglicherweise erst ein halbes Jahrhundert später 
eingetragen wurde, bildet ebenfalls noch keinen 
überzeugenden Beleg dafür, dass bei der Niederla- 
ge von 1499 wirklich Verrat im Spiel war. Ja, selbst 
wenn unmittelbar nach der Schlacht von Seiten der 
Besiegten behauptet worden wäre, ihr Misserfolg 
sei auf Verrat zurückzuführen, muss dies nicht 
zutreffen. 
Es lässt sich zwar einwenden, dass in der histo- 
rischen Erinnerung der Eidgenossen möglicher- 
weise auch deshalb keine Nachrichten über einen 
Verräter erhalten sind, weil die Sieger wenig 
Anlass sahen, sich dessen zu rühmen. Dagegen 
spricht wiederum, dass aus Schweizer Sicht eine 
bezahlte Führung der Truppen über den Berg- 
rücken keinen Verrat dargestellt hätte, denn die 
Bewohner der Grafschaft Vaduz hatten schon eine 
Weile davor den Eidgenossen einen Untertaneneid 
geleistet. Wenn Uli Mariss beim Übergang über die 
nördlichen Ausläufer des Drei-Schwestern-Massivs 
wirklich eine bedeutende Rolle gespielt hätte, wäre 
dies also in der eidgenössischen Chronik nicht un- 
bedingt zu vertuschen gewesen. Gleichzeitig kann 
ein nicht erwähnenswerter Hilfsdienst kaum mit 
der Entscheidung der Schlacht in Verbindung ge- 
bracht werden. 
DER FREMDE ULRICH OB DER KIRCHEN 
War aber mit dem «traditor» (Verräter) im Frastan- 
zer Jahrzeitbuch überhaupt Uli Mariss gemeint? In 
den von Frick vorgestellten Quellen aus der Zeit um 
1500 wird dieser nie allein als «Ulrich ob der Kir- 
chen», sondern immer mit seinem Familiennamen 
Mariss und der Zusatzangabe «zul[r] Kilchen» an- 
geführt. 
Schwerer wiegt jedoch der Umstand, dass im 
Frastanzer Jahrzeitbuch kein Herkunftsort ver- 
zeichnet ist, denn es gab in fast jedem Dorf einen 
Bauern, der «ob der Kirchen» wohnhaft war. Wa- 
rum ist die Herkunft aus Schaan nicht angeführt, 
wenn ein Bewohner dieser Nachbargemeinde ge- 
meint gewesen sein sollte? Wäre der Verräter all- 
seits bekannt gewesen, hätte man seinen Namen 
überhaupt nicht ins Jahrzeitbuch eintragen müs- 
sen. War aber die Nachricht für spätere Jahrhun- 
derte bestimmt, die von den Vorgängen nichts 
mehr wussten, wäre die Herkunft des Verräters 
ınbedingt zu erwähnen gewesen. Es drängt sich 
die Vermutung auf, dass man diese eben nicht 
(mehr) kannte. 
Zum Zeitpunkt der Eintragung ins Frastanzer 
Jahrzeitbuch wurde also wahrscheinlich noch eine 
Person unbekannter Herkunft des Verrats beschul- 
digt. Möglicherweise hatte sie sich früher arbeits- 
bedingt eine gewisse Zeit lang in der Region um 
Frastanz aufgehalten. Jedenfalls erfüllte ein Fremder 
die Sündenbockfunktion viel unproblematischer als 
Einheimische, deren soziale Ausgrenzung unter 
Umständen tiefe Gräben zwischen Verwandtschaf- 
ten aufgerissen hätte. 
Für die Annahme, dass der Verrat einem Frem- 
den zugeschrieben wurde, spricht auch das Kürzel 
vor dem Namen, das wohl am ehesten wie bei 
Burmeister mit «dictus» (= genannt) aufzulösen ist. 
Bei Einheimischen würde damit höchstens der 
Zuname angefügt sein (z. B. 1505: Virich Mares 
genandt zur Kilchen); zumindest der Vorname 
stand in jedem Fall fest. Wenn aber beide Namens- 
formen unter dem Vorbehalt «dictus» angeführt 
sind, deutet dies darauf hin, dass es sich um keinen 
allseits bekannten Ulrich ob der Kirchen aus Fra- 
stanz oder einem Nachbardorf handelte, sondern 
dass man eben nur wusste, wie er genannt wurde. 
6) Pfarrarchiv Frastanz, Altes Jahrzeitbuch, fol. 14a; bei der Auflö- 
sung der Abkürzung nach dem Wort «traditor» halte ich mich an die 
Lesung von Burmeister (wie Anm. 1), S. 118. 
7) Rapp, Ludwig; Ulmer, Andreas: Topographisch-historische Be- 
schreibung des Generalvikariates Vorarlberg. Bd. 6. Dornbirn, 1937, 
S. 133
	        

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