Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1998) (96)

kann «nur in einer zeitlich verzögerten Abkehr von jenen Geschichtbildern gesehen werden, wie sie vor 1945 vertreten wurden», (S. 226 f.) einer Ab- kehr von der germanischen, alamannischen Ideo- logie mittels der Rückbesinnung und tagespoliti- schen Betonung einer Eigenständigkeit Vorarlbergs gegenüber Restösterreich. Den zweiten Zeitraum einer idealisierenden rätischen Darstellung setzt Rollinger etwa zwischen 1799 und dem Erscheinen von Franz Josef Weizeneggers (bzw. Meinrad Mer- kles) Landesgeschichte an (1839). Der historische Hintergrund des Zweiten Koalitionskrieges, des ge- lungenen Abwehrkampfes gegen die Franzosen bei Feldkirch und die Betonung von Eigenständigkeit auf Verwaltungsebene helfen, die Identifikation des Vorarlberger Volkscharakters mit Eigenschaften wie Freiheitsliebe, Wehrtüchtigkeit, Abwehrkampf und Zähigkeit direkt mit den urgeschichtlichen Rä- tern zu verknüpfen und auf diese zurückzuführen. Diese Räterideologie ist in beiden Fällen immer gepaart mit der Germanen- oder Aiamannenideo- logie, die entweder dominierend, gleichwertig oder - und das ist ein wesentlicher Punkt, den Rollinger äusserst scharf herausstellen kann - beliebig aus- tauschbar war. Zwischen diesen beiden Zeiträumen stellt der Autor nicht nur eine deutliche Distanzierung zur Räterideologie im landesgeschichtlichen Bewusst- sein fest, sondern arbeitet auch anhand vieler Bei- spiele die Ausbildung der Alamannenideologie vor dem Ersten Weltkrieg und der Zwischenkriegszeit heraus. Zum einen werden die Räter mit den Kel- ten gleichgesetzt oder als Volk unter vielen geschil- dert, zum anderen ihre Charaktereigenschaften auf die Alamannen übertragen. Rollinger erkennt in dieser Phase jedoch noch marginale Restbestände, in denen die Vorstellung eines ehrwürdigen Volkes durchschimmert, als «Indiz für eine gewisse Ver- bundenheit mit den vorrömischen Alpenbewoh- nern» (S. 228). Die Tugenden, die den Rätern zuge- schrieben worden waren, sind nun fest verknüpft mit den Alamannen: Freiheitsliebe und fester Wil- le, sich jeglicher Unterwerfung entgegenzustellen. Auslösende Faktoren, die diese gegenüber der frü- heren Zeit veränderte Darstellung der ur- und früh-geschichtlichen 
Verhältnisse in Vorarlberg bewirk- ten, können im Antagonismus zu Tirol gesehen werden, deren Träger besonders im liberalen Gross- bürgertum gewesen zu sein scheinen (beispiels- weise Samuel Jenny und John Sholto Douglas, deren protestantische Weltanschauung besonders hinsichtlich der Förderung ihres Glaubens sich vom Tiroler Klerikalismus abgrenzen musste). Die in Tirol zu dieser Zeit besonders forcierte Räter- vorstellung, wurde für die Identifikationsstiftung eines eigenständigen Vorarlberg inakzeptabel, um- gekehrt konnte der Blickwinkel aber dadurch er- weitert und der Alpenraum zur Gänze in die Be- trachtung miteinbezogen werden. Nicht mehr die Räter waren sinnstiftend, sondern der heimatliche Boden - wie Rollinger sehr deutlich darstellt, führte daher Drusus in der zeitgenössischen Darstellung seine Männer wieder über Vorarlberger Boden, und als Motiv für den Alpenfeldzug wich das Bild eines Straffeldzuges dem Zugeständnis an die Rö- mer, einer übergeordneten Strategie gemäss ge- handelt zu haben. Daran anschliessend bekamen die Kelten eine protogermanische Seele und die Alamannenideologie wurde ausgebaut - die Iden- titätsstiftung erfuhr eine chronologische Verschie- bung und erhielt besonders in der Zwischenkriegs- zeit eine stark rassische Orientierung (Isidor Flüri, Düringer). Auch hier stellt Rollinger neben diesen gut erkennbaren Tendenzen verschiedene Nuancen aufgrund der Persönlichkeit der Autoren und der zeitbedingten Muster heraus. Hinsichtlich der iden- tifikationsstiftenden Rolle der Räter stellt Rollinger resümierend fest: «Die Räter sind zum Träger stan- dardisierter, ideologisch besetzter Vorstellungen geworden, von denen sie sich bis heute kaum be- freien konnten» (S. 231). Klaus Brandstätter bespricht in seinem Beitrag «Heiligenkulte im Dienste der Politik. Die öster- reichischen Heiligen Leopold und Koloman» (S. 63- 83). Heilige stellen im Mittelalter ein besonderes Instrumentarium dar, um das Bewusstsein einer ei- genen Identität oder einer Legitimation aufzubauen und zu erhalten. Besonders wichtig war es für Herrscherlinien, in der Nähe der Heiligen zu ste- hen. Die eher bescheidenen Versuche, mit Hilfe 294
	        

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