Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1998) (96)

«DER TEUFEL UND DIE HEXEN MÜSSEN AUS DEM LAND ...» / MANFRED TSCHAIKNER DOKUMENTIERTE ZAHL DER TODESOPFER UND REALISTISCHE SCHÄTZUNGEN Die Zahl der Todesopfer bei den liechtensteini- schen Hexenprozessen ist nicht mehr zu eruieren. Das erhaltene Quellenmaterial erlaubt lediglich Schlüsse auf Annäherungswerte, und zwar eigent- lich nur für die Prozesse der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Das Ausmass der gerichtlichen Hexenverfolgung am Ende des 16. Jahrhunderts sowie in den Dreis- sigerjahren des 17. Jahrhunderts lässt sich schwer einschätzen. Es ist keineswegs sicher, dass die damaligen Prozesse wirklich Einzelfälle bildeten.483 Möglicherweise fanden umfangreiche Verfolgungen statt, von denen keine Unterlagen mehr überliefert sind. Wäre die Innsbrucker Regierung um 1600 nicht mit den Hexenverfolgungen in Dornbirn be- fasst worden, wüsste man zum Beispiel von den dortigen Prozessen, die zahlreiche Personen das Leben kosteten, nichts mehr.484 Die Hexenprozesse um die Mitte des 17. Jahr- hunderts sollen in der Grafschaft Vaduz und der Herrschaft Schellenberg ungefähr 100 Todesopfer gefordert haben. Die zahlreichen undatierten Angaben von ver- brannten Verwandten derjenigen Personen, gegen die um 1680 prozessiert wurde, beziehen sich wohl zu einem grossen Teil auf die Vorgänge um 1650, aber auch auf die vereinzelten Prozesse der folgen- den Jahrzehnte. Für 1669 sind zwei, für 1678 neun Hingerichtete dokumentiert. Für 1679 sind 20 Tote nachweisbar, 1680 wurden 25 Delinquenten hinge- richtet. Insgesamt kommt man bei diesen Schätzungen auf eine Zahl von etwa 160 Hinrichtungen zwi- schen 1648 und 1680. Ohne weitere Quellenbelege ist es kaum angebracht, bei den gesamten Flexen- prozessen in der liechtensteinischen Geschichte von mehr als 200 Toten auszugehen. Im überregionalen Vergleich, bei dem Hexenver- folgungen «resulting in 20 or more executions in one year» - selbst ohne Berücksichtigung der Be- völkerungzahl eines Territoriums - als umfang- reich gelten,485 lässt sich feststellen, dass die Graf-schaft 
Vaduz und die Herrschaft Schellenberg um die Mitte des 17. Jahrhunderts sowie in den Jahren 1679 und 1680 schwer heimgesucht wurden. Eine solche Konzentration von Prozessen gab es zum Beispiel in der österreichischen Nachbarschaft nicht. In Vaduz wurden in einem Zeitraum von etwas mehr als dreissig Jahren mehr als andert- halbmal so viele Personen als Hexen oder Hexer hingerichtet, wie in den viel bevölkerungsreicheren österreichischen Herrschaften vor dem Arlberg bei Hexenprozessen insgesamt umgekommen sind.486 Dennoch fällt die Intensität der liechtenstei- nischen Hexenverfolgungen nicht vollständig aus dem regionalen Rahmen, denn auch im Prättigau wurden in den fünfziger Jahren des 17. Jahrhun- derts bei der sogenannten «grooß Häxatöödi» über hundert Personen als Hexen oder Hexer hingerich- tet.487 Der letzte Höhepunkt der liechtensteinischen Flexenverfolgungen - der übrigens in eine Zeit fiel, als allgemein im heutigen bayerisch-österreichi- schen Raum eine neue Konzentration von gericht- lichen Hexenverfolgungen feststellbar ist488 - wurde vom kaiserlichen Kommissar Rupert von Bodman und vom Triesner Pfarrer Valentin von Kriss4S9 aus verständlichen Gründen so dargestellt, als ob er ununterbrochen seit etwa 1648 angedauert hätte. Auf diese Weise entstand der Eindruck, dass in der Mitte und in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhun- derts in Vaduz die grösste Hexenprozessserie im süddeutschen Raum stattfand.490 In Wirklichkeit handelte es sich um drei nicht zusammenhängende 482) Ebenda, fol. 38a+b. 483) Vogt, Hexenprozesse, S. 2. 484) Tschaikner, Hexenverfolgungen in Dornbirn, S. 53 f. 485) Midelfort, Witch Hunting, S. 9. 486) Tschaikner, Vorarlberg, S. 296. 487) Schmid-Sprecher, Graubünden, S. 139-193. 488) Behringer, Bayern, S. 342 u. 346. 489) ÖStA Deneg. Ant. 96; StAAug 2971, fol. 22b. 490) Vgl. Behringer, Bayern, S. 346; ders., «Erhob sich das ganze Land», S. 168. 103
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.