Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1998) (95)

«AM RANDE DER BRANDUNG» PETER GEIGER am Morgen gleich wieder in Schaanwald über die Grenze zurückgestellt. Was sollte mit der internierten Truppe, die hitlerdeutsche Uniformen trug, geschehen? Der Grenzwachtoberstleutnant Wyss sagte zu Wacht- meister Brunhart: «So, jetzt sind sie da, jetzt habt ihr sie, uns gehen sie nichts mehr an.» So blieb es. Es entspann sich um die Liechtenstein-Russen ein Tauziehen bis 1948.65 Am 3. Mai hörte man von Liechtenstein aus am Vormittag noch Detonationen und Maschinenge- wehrfeuer in Vorarlberg. Nach dem Mittag fuhren französische Panzer in Feldkirch ein. Am Zollamt Tisis wurde die alte österreichische Flagge hervor- geholt und gehisst. Französische Flieger brachen Widerstandsnester der SS und FLJ auf der Carina. Dann hörte man eine gewaltige Detonation: Die 111- brücke im Engnis der Felsenau war von den ab- ziehenden Deutschen gesprengt worden. An der Schaanwälder Grenze wurde es am Nachmittag ruhiger, der Flüchtlingsstrom ebbte ab. Am 4. Mai kamen die Franzosen zur Grenze.66 Am 5. Mai be- suchte der französische Stadtkommandant von Feldkirch den Fürsten, Regierungschef Hoop erwi- derte den Besuch zwei Tage später. Mit den Fran- zosen kam nach schneekalten Tagen am 5. Mai auch endlich warmes Frühlingewetter auf, gerade- zu symbolhaft.67 DIE ERSTEN TAGE IM FRIEDEN Der 8. Mai, Tag der Gesamtkapitulation, war ein Dienstag, es herrschte schönes Wetter. An der Grenze trafen kaum mehr Flüchtlinge ein. Unend- liche Erleichterung ergriff auch in Liechtenstein die Menschen. Am Abend läuteten um 7 Uhr eine Vier- telstunde lang alle Kirchenglocken zum Frieden68 - wie in der Schweiz. Die Regierung ersuchte am 8. Mai die Pfarrer, am folgenden ersten Friedens- sonntag in allen Gemeinden «Festgottesdienste» abzuhalten, «zum Dank für die Beendigung des Krieges.69 Am 8. Mai erklärte der schweizerische Bundes- rat, er anerkenne keine deutsche Reichsgewalt und 
keine deutschen Behörden mehr.70 Der auch für Liechtenstein zuständige deutsche Generalkonsul in Zürich, Carl Dienstmann, teilte dies der liechten- steinischen Regierung mit und erklärte seine Funk- tion für eingestellt.71 Am 8. Mai auch sandte der «Hilfsverein der Ju- den in Liechtenstein» ein Schreiben an die Regie- rung und dankte «für das uns gewährte Asyl und Wohlwollen».72 Der Hilfsverein der Juden bestand seit 1940, sein Zweck war die Unterstützung Hilfebedürftiger. Die Regierung hatte Zwangsmit- gliedschaft für alle in Liechtenstein lebenden jüdi- schen Ausländer verordnet. Den Krieg hindurch hatten rund 100 Personen jüdischer Herkunft im Lande Zuflucht gefunden.73 Einer von ihnen dankte Regierungschef Hoop dafür, dass die Regierung, die gewiss keinen leichten Stand in der «Emigranten- frage» gehabt habe, stets Verständnis zeigte. Das sei Hoops Verdienst, was ihm Gott lohnen wolle. Hoop antwortete in einem kurzen Schreiben, die 65) Peter Geiger/Manfred Schlapp: Russen in Liechtenstein, Flucht und Internierung der Wehrmacht-Armee Holmstons L945-1948. Mit der Liste der Internierten und dem russischen Tagebuch des Georgij Simon. Vaduz, Zürich 1996 (dort die weiteren Quellen- und Lite- raturangaben). -Zeitzeugen-Interviews des Verfassers 1995/96. - Henning von Vogelsang: Die Armee, die es nicht geben durfte. Russen in deutscher Uniform und ihre Rettung in Liechtenstein. Ulm-Kisslegg 1995. - Tonja Furrer/Nina Kaiser: Sowjetische und russische Militärinternierte in der Schweiz und in Liechtenstein während des Zweiten Weltkrieges: In: Carsten Goehrke/Werner G. Zimmermann (Hrsg.): «Zuflucht Schweiz». Der Umgang mit Asylpro- blemen im 19. und 20. Jahrhundert. Zürich 1994, S. 309-343. 66) LVolksblatt. 5. Mai 1945. 67) LVolksblatt, 8. Mai 1945. 68) LLA RF 228/21. 69) LLA RF 230/365. 70) Bundesratsbeschluss vom 8. Mai 1945. Bundesrats-Protokoll. In: Documents Diplomatiques Suisses (s. oben Anm. 17). Bd. 15. Bern 1992, S. 1106 f. 71) Dr. Carl Dienstmann (dt. Generalkonsul) an Regierungschef Hoop. 9. Mai 1945; Antwort Hoops an Dienstmann, 17. Mai 1945, LLA RF 230/37.3. 72) Schreiben des «Hilfsvereins der Juden in Liechtenstein» an die liechtensteinische Regierung. 8. Mai 1945, LLA RF 230/365. 73) LLA RF 200/57. 65
	        

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