Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1998) (95)

DER WEG DER LIECHTENSTEIN-GALERIE VON WIEN NACH VADUZ / GUSTAV WILHELM den direkt über den Tauernpass durchgeführt wer- den könne. Ratjen meinte, aus Vaduz könne man nur Eisenbahnwaggons, aber keine Motorfahrzeu- ge erwarten. Die beiden Prinzen, mit denen ich nach Weg- gang Ratjens die Sachlage noch besprach, waren der Ansicht, ich solle die Bergung nach Moosham fortsetzen, die Möglichkeit eines Transportes nach Vaduz schien noch recht ungewiss, die Situation im Osten Österreichs wurde aber von Tag zu Tag un- haltbarer. Damals wurde in Vaduz auch, da man die Unwahrscheinlichkeit, eine Ausfuhrbewilligung für die erste Garnitur zu bekommen, scheinbar richtig einschätzte, der Plan erwogen, diesen Be- stand nach der Bodenseeinsel Reichenau bringen zu lassen. Das auf der Insel gelegene Schloss Kö- nigsegg gehörte dem bekannten Ziehharmonika- fabrikanten Hohner, der Beziehungen nach Vaduz hatte und sein Haus gerne für diesen Zweck bereit- stellte. Man dachte dabei in Vaduz daran, dass es möglich sein sollte, im Zeitpunkte der Gefahr die Bilder über den See in die Schweiz zu transportie- ren - eine Idee allerdings, die ins Gebiet der Phan- tasie gehörte, wie ich bald an Ort und Stelle fest- stellen sollte. Am 11. Oktober hatte Dr. Steegmann in Berlin beim Innenminister angesucht, die zweite Garnitur in Vaduz bergen zu können, während er schon da- mals für die Bilder der Reichsliste unter anderem die Insel Reichenau als Bergungsort nannte. Das Reichswirtschaftsministerium hatte bereits für die- se ganze Angelegenheit Ratjen als Reichstreu- händer bestimmt, welche Verfügung Steegmann durch seine guten Beziehungen durchgesetzt hatte. Die Bewilligung, diese sogenannte zweite Garnitur nach Liechtenstein zu bringen, erfolgte am 7. No- vember und man liess von Vaduz aus bereits Schweizer Waggons nach Wien und Feldsberg ab- rollen. Ratjen stand nun vor der Notwendigkeit, sich mit den Herren der Reichsstatthalterei in Wien ins Einvernehmen zu setzen, und kam am 1. No- vember mit Dr. Dellbrügge, Dr. Seiberl und Dr. Berg zusammen. Wie erwartet, begrüssten ihn die Her- ren keineswegs freundlich, und der Ausgang der Unterredung war recht negativ. Für uns war die 
Tatsache der Bestellung Ratjens als Reichstreuhän- der für die Ausfuhr von grösstem Wert, denn da- durch waren alle uns ungünstig gesinnten staat- lichen Stellen von einer Kontrolle meiner Ausfuh- ren praktisch ausgeschlossen. Die Wiener Stellen waren über die ganze von Dr. Steegmann unternommene Aktion sehr erbit- tert, weil ihnen dadurch praktisch die Kontrolle über den ganzen fürstlichen Besitz entzogen wur- de. Man wollte von mir Aufklärungen haben, und ich rief Dellbrügge an und erklärte ihm, jederzeit mit Auskünften zur Verfügung zu stehen. Diese Be- sprechung fand am 2. November bei Dellbrügge statt, der damals nicht mehr in dem prunkvollen Büro Metternichs am Ballhausplatz sass, da dieses damals bereits von Bomben zerstört war. - Ich ver- suchte, seine Bedenken gegen unsere Bergungs- massnahmen zu zerstreuen, legte ihm klar, dass ich ja durch die Kriegslage gezwungen werde, mei- ne sämtlichen Depots nach dem Westen zu verle- gen und das Anbot des Staates, als neues Depot die Salzbergwerke zu benützen, aus grundsätzlichen Bedenken nicht annehmen könne. Dellbrügge war recht unzugänglich, äusserte, er wolle von der ganzen Bergung nach Liechtenstein am liebsten nichts mehr hören, und liess durchblicken, man werde mich zum Wehrdienst einberufen und die Durchführung unserer Transporte selbst in die Hand nehmen. Die Einberufung zur deutschen Wehrmacht hing ja schon seit einigen Jahren über meinem sorgege- plagten Haupt. Wir hatten einen deutschen Gene- ral, der das Wehrersatzkommando in Wien leitete und der, sehr zum Glück, ein begeisterter Jäger war. Ein bis zweimal im Jahr wurde er von unserer Wiener Verwaltung nach Feldsberg eingeladen, um einen besonders guten Hirschen zu schiessen. Zwei höhere Offiziere kamen immer mit. Ich lernte da- mals viel von den norddeutschen Trinksitten. Be- sonders originell fand ich es, dass ich als Gastgeber im grossen Marmorsaal des Schlosses Feldsberg bei dem feierlichen Abendessen, wenn ich das Glas erhob, den Gästen tiefernst in die Augen blicken musste, dann schlugen alle, sitzend, unter dem Tisch die Fersen aneinander und man trank mit 27
	        

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