Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1998) (95)

DIE MUNDART DES FÜRSTENTUMS LIECHTENSTEIN ROMAN BANZER den Dialekt aufgegeben oder sehr stark an denjeni- gen Liechtensteins angepasst haben, kann man von zirka 20'000 (72 %) Sprechern der Liechtensteini- schen Mundart ausgehen.11 Ausserdem ist mit 4500 (16 %) fremden Mundartsprechern und etwa 1000 (4%) Hochdeutschsprechenden zu rechnen. Zudem lebten Ende 1990 2902 (9,9 %) Fremdsprachige in Liechtenstein.12 2.2. THEORETISCHE VORBEMERKUNGEN Die Sprachsituation des Fürstentums Liechtenstein wird beherrscht durch das funktionale Nebenein- ander von Standard13 und Dialekt.14 Man spricht Mundart und schreibt Hochdeutsch. Beim unge- steuerten Erstsprachenerwerb im Elternhaus wird dem Kind in den meisten Fällen Mundart vermit- telt. Dass es sich dabei nicht in jedem Fall um die Liechtensteiner Mundart handelt, ist bei dem ho- hen Anteil an Ausländern (ca. 30 % der Einwohner) einleuchtend. Zudem sind auch «Mischehen» mit einem Liechtensteiner und einem ausländischen Partner deutscher Sprache recht häufig. Wie der Spracherwerb in diesen Fällen verläuft und inwie- weit sich die primär erworbene Sprache bei der Einschulung wieder ändert, ist für Liechtenstein bislang nicht untersucht worden. Auf alle Fälle ge- schieht die sprachliche Sozialisation, die Integra- tion in die Sprachgemeinschaft der Mundartspre- chenden, spätestens im Kindergarten. Arbeiten1"' zum Umgang von Kindern mit der Diglossie- oder Bilingualismussituation haben gezeigt, dass diese die Sprache mit denjenigen Menschen in Verbin- dung bringen, die sie sprechen oder mit denjenigen Situationen, in denen sie gebraucht wird. Kinder lernen das Code-switching, wenn das in ihrer Sprachgemeinschaft zum üblichen Sprachgebrauch gehört. Wenn in den Kindergärten viele Kinder ein- geschult werden, die von Haus aus einen fremden Dialekt sprechen, geschieht hier mit dem erstmali- gen Eintritt in eine neue Sprachgemeinschaft auch gleichzeitig die Einführung in einen neuen Sprach- code. Bei Kindern, von denen ein Elternteil nicht 
nativer Mundartsprecher ist, bleibt immer etwas an individueller Anderssprachigkeit zurück. Trotz dieser Einschränkungen kann aber sicher festge- halten werden, dass beim ungesteuerten Erstspra- chenerwerb Mundart «gelernt» wird. Erst mit Beginn der Primarschule wird dem Kind normalerweise über einen gesteuerten Zweit- sprachenerwerb die Standardsprache verbal und schriftlich vermittelt. Inwieweit sich dieser Sprach- erwerb vom Erlernen einer Fremdsprache unter- scheidet und inwieweit hier die Regeln der Fremd- sprachendidaktik angewandt werden können, ent- zieht sich unserer Kenntnis. Sicher scheint aber, dass die Standardsprache bezüglich Stellenwert und auch Spracherwerb nicht mit einer Fremd- sprache gleichgestellt werden kann. «Der Deutsch- schweizer mag die Mundart als seine Mutterspra- che ansehen und demgegenüber der Standardspra- che als <Vatersprache> oder dingua matrigna> (Stiefmuttersprache) einen nachgeordneten Rang zuweisen; aber es ist doch nicht sinnvoll, keinen Unterschied zu machen zwischen dem Deutschen, der normalen Lese- und Schreibsprache, und dem Französischen, Italienischen und Englischen als echten Fremdsprachen» (Sieber/Sitta 1986, S. 33 f.). Das Sprachsystem des Fürstentums Liechten- stein ist zweistufig. Prinzipiell wird Hochdeutsch geschrieben und Mundart gesprochen. Allgemein wird diese Situation mit dem Terminus der «Media- len Diglossie» umschrieben.16 Ohne hier auf die verschiedenen theoretischen Ausrichtungen und Definitionen der Diglossietheorie einzugehen, soll als Grundlage eine Definition gegeben werden, die in der Tradition der nordamerikanischen For- schung steht. Ferguson hat 1959 einen Begriff in die Sprachsoziologie eingebracht,17 der im Laufe der Zeit von anderen erweitert und verfeinert wur- de. «Diglossia is a relatively stable language Situa- tion in which, in addition to the primary dialects of the language (which may include a Standard or re- gional Standards), there is a very divergent, highly codified (often grammatically more complex) su- perposed variety, the vehicle of a large and re- spected body of written literature, either of an ear- 155
	        

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