Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1998) (95)

Familie, Freizeit und Arbeitswelt; eine Notiz gilt sogar dem Sprachgebrauch des Fürstenhauses. Ausser im kirchlichen Bereich weisen Banzers Erhebungen eine grosse Ähnlichkeit zwischen Liechtenstein und der deutschen Schweiz nach und unübersehbare Unterschiede gegenüber Vorarl- berg. Diese Konstellation ist ein Hinweis darauf, dass das österreichische Bundesland erst in jünge- rer Zeit einen andern Entwicklungsweg eingeschla- gen hat, da Liechtenstein ja vor noch nicht allzu langen Jahren enger mit seinem österreichischen Nachbarn verbunden war. Es wird später einmal interessant sein zu beobachten, ob der Beitritt des Landes zum EWR den Mundartgebrauch zu beein- flussen vermochte. Der zweite Teil von Banzers Arbeit, der sich mit den Lauten der Liechtensteiner Mundarten und ihren Veränderungen beschäftigt, ist wesentlich schwieriger zugänglich. Das ist aber, wie ein Blick in jede einigermassen umfassende dialektologische Studie zeigt, fast nicht zu vermeiden. Wer Mund- arten vergleichen will, benötigt eine Vergleichs- grundlage. Da unsere Dialekte nicht von der neu- hochdeutschen Standardsprache abstammen, eig- net sich deren Lautsystem schlecht als «tertium comparationis», man muss dazu die mittelhoch- deutschen Laute wählen. Allein schon dies macht die Lektüre dialektologischer Arbeiten nicht eben zur leichten Bettlektüre. Wenn es darüber hinaus nicht bloss um den Vergleich von Mundarten son- dern auch noch um die vergleichende Beschrei- bung ihrer Veränderungen geht, dann vervielfa- chen sich die Schwierigkeiten für den Autor wie für den Leser. Wenn in einer Mundart «ein und dasselbe Wort» auf zwei verschiedene Weisen ausgesprochen wer- den kann, dann ist dies ein Indiz dafür, dass eine Veränderung abläuft. Die meisten Untersuchungen mundartlicher Lautveränderungen begnügen sich damit, einigen zum voraus bekannten Variabein nachzugehen: «Früher sagte man im Oberland nur Läätere/Laatere für <Leiter>, heute hört man auch Leitere - schauen wir uns mal diese Varianz genauer an: Wer sagt wie oft und in welchen Wör- tern noch ää oder aa, wer aber ei?» Die Origina-lität 
von Roman Banzers Ansatz beruht nun vor allem darauf, dass der Autor sich nicht mit einigen zufällig beobachteten Variabein zufrieden gibt, sondern zuerst einen möglichst umfassenden Überblick über jene Laute zu gewinnen sucht, die in den Mundarten des Fürstentums überhaupt variieren. Dazu musste er die Mundarten aller elf Gemeinden des Landes (und zusätzlich Hinter- schellenbergs) systematisch auf Variationskandida- ten sozusagen «abklopfen». Das ist einfacher ge- sagt als getan und zwingt zu einem mehrstufigen Vorgehen. Auf einer ersten Stufe geht es um die Erhebung eines möglichst konservativen, «grund- mundartlichen» Lautstands, der aber doch in unsern Tagen noch vorhanden ist - deshalb musste Banzer diesen Lautstand selbst bei alten, eingeses- senen Gewährspersonen erheben, er konnte ihn nicht einfach etwa aus dem Buch von Leo Jutz (1925) übernehmen, und der VALTS war noch nicht so weit publiziert. Resultat ist ein historischer Lautatlas des Fürstentums in Tabellenform, Ne- benprodukt ein Inventar der Veränderungen der «Grundmundart» seit Jutz. Dieser Lautatlas bildet nun die Grundlage für die zweite Stufe, die Ermittlung der heute möglicher- weise variierenden Laute in den Mundarten. Als potentielle Variabein betrachtete Banzer zuerst ein- mal sämtliche mittelhochdeutschenen Lautungen, die in den Mundarten Liechtensteins geographisch unterschiedliche Entsprechungen aufweisen, also etwa mhd. e, dessen Fortsetzung im Oberland ge- schlossen ausgesprochen wird: Weg, im Unterland aber offen: Wäg. Bei solchen Unterschieden kön- nen Lautveränderungen durch den Einfluss einer Nachbarmundart erwartet werden, die entspre- chenden Laute sind Kandidaten für Variation. Aber Lautvarianten können sich nicht nur durch den Einfluss von Nachbarmundarten ergeben; häufiger noch dürften Einflüsse durch die Hochsprache sein. Deshalb ergänzte Banzer den Katalog der po- tentiellen Variabein, und auch dies wieder auf em- pirischem Weg: Er untersuchte die freie Rede von jüngern, weniger «bodenständigen» Sprechern und fand dabei Abweichungen von den grundmundart- lich zu erwartenden Lautungen sowohl in einhei- 146
	        

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