Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1998) (95)

EIN BLICK AUS DEM FENSTER ELISABETH CASTELLANI ZAHIR Er ist in den oberen beiden Stockwerken mit reprä- sentativen, versprossten Rundbogenfenstern verse- hen, insgesamt vier, und wird von einer nicht über- dachten Plattform mit Zinnenkranz abgeschlossen, auf deren hinterem Teil sich im Schatten rechts ein kleiner dunkler Turm erhebt. Hinter den beiden oberen besonders grossen Fenstern unter den Zin- nen des Saalbaues befindet sich spätestens seit Sul- zerzeiten der repräsentative Festraum von Schloss Vaduz, der sogenannte Schöne Saal.31 Der an- schliessende und um ein Geschoss höhergeführte Kapellenbau zeigt keine Zinnen, sein Dachab- schluss bleibt im Vagen. Dieser Teil ist zu Beginn des 17. Jahrhunderts von den Hohenemsern über dort tatsächlich vorhanden gewesenen Zinnen im Rahmen des Burgausbaues als Garnison für Solda- tenkammern um ein Geschoss aufgestockt worden, war also relativ neu. Das bereits erwähnte grosse Rundbogenfenster auf der Höhe des Schönen Saals - es ist zu sehen auf der Fotografie von 1880 (wie übrigens auch das rechts darüberliegende Recht- eckfenster) - sind Zeugen des Sulzischen Umbaus zur Renaissanceresidenz im 16. Jahrhundert. Den Abschluss der Gebäudegruppe zum rechten Bildrand hin bildet das Südrondell, ebenfalls aus Sulzerzeiten, mit seinen massigen Wehrgeschossen und der darüberliegenden dünnwandigen origina- len Wohnetage mit vielen rechteckigen Fensteröff- nungen. Die Rundbastion wird überhöht durch den Bergfried, über dessen im Schatten liegenden Zin- nenkranz ein rotes Zeltdach die Burganlage wie eine Fürstenkrone schmückt. Im Vordergrund sind die Umfassungsmauern einer grosszügigen Garten- anlage zu sehen, die wahrscheinlich unter Franz Wilhelm I. entstanden ist, vielleicht aber auch schon von seinem Onkel Franz Maria angelegt wurde.32 Auffallend sind die roten Ziegel-Beda- chungen von Gartenmauern, Nebengebäuden und Bergfried. Bis auf das grobe Quaderwerk des Wehr- niveaus vom Südrondell sind die restlichen Gebäu- deteile nicht steinsichtig gemalt, sondern erschei- nen in einem einheitlichen, schmutzweisslichen Farbauftrag, was auf Verputz schliessen lässt. Der im Gemälde dargestellte Bauzustand ent- spricht - nach heutiger Kenntnis - der Bauge-schichte 
von Schloss Vaduz, so wie es sich nach dem Ausbau unter den Sulzern im 16. Jahrhun- dert33 und nach den Eingriffen unter Graf Kaspar von Hohenems (1573-1640),34 der 1613 Burg und Herrschaft (Reichsgrafschaft Vaduz und Herrschaft Schellenberg) von den Sulzern erwarb, als früh- neuzeitliche Residenz und Garnison in vorliechten- steiner Zeiten darstellte.35 Es ist ein Gemisch von mittelalterlichen Wehrbaurelikten, von denen der bezinnte turmartige Saalbau und der Bergfried zeugen, frühneuzeitlichen Verteidigungsanlagen für Artillerie wie das Südrondell und barockem Kom- fort für das aristokratische Repräsentationsbedürf- nis. Letzteres belegen die grossen Sprossenfenster 22) Castellani 1993 I, S. 101-116 (Forschungen, Grabungen und Dokumentation 1904) sowie Castellani II. S. 198-205 (Die Problema- tik der modernen Grundsätze am Beispiel von Vaduz). 23) Castellani 1993 I, S. 101. Anm. 2. 24) Auch in Vaduz datiert die älteste bekannte Bildquelle aus der Zeit um 1600 (Castellani 1993 I. S. 318 und Abb. 375). 25) Georg Dehio: Was wird aus dem Heidelberger Schloss werden? In: Georg Dehio, Alois Riegl (Hrsg.): Konservieren, nicht restaurieren. Streitschriften zur Denkmalpflege um 1900. Braunschweig,Wiesba- den, 1988, S. 39 [=Dehio 1901]. 26) Dehio 1901, S. 37. 27) Die Prinzipien der modernen Denkmalpflege, wie sie die Jahr- hundertwende unter Georg Dehio und Alois Riegl als den heraus- ragendsten Exponenten mit dem Schlachtruf «Konservieren, nicht restaurieren» intellektuell vorgedacht hatte, wurden 1964 in der «Charta von Venedig» international sanktioniert und im Europäi- schen Jahr für Denkmalpflege 1975 populär gemacht. Siehe Deut- sches Nationalkomitee für Denkmalschutz (Hrsg.): Texte zum Denk- malschutz und zur Denkmalpflege. Bonn, 1993, Dokument 8. 28) Vgl. hierzu: Deutsches Zentrum für Handwerk und Denkmal- pflege, Propstei Johannesberg (Hrsg.): Johannesberger Texte 3. Fulda, 1995. 29) Castellani 1993 I, S. 319, Anm. 4. 30) Kopie nach einer Federzeichnung von Hanno von Halem. Castellani 1993 I, Abb. 375. 31) Zum Schönen Saal siehe Castellani 1993 I, S. 33 f. 32) Zur Gartenanlage siehe Castellani 1993 I, S. 46. 33) Castellani 1993 I, S. 35-42. 34) Ebenda, S. 43-46. 35) Rekonstruierter Schlossgrundriss der Residenz im 17. Jahrhun- dert mit Gartenanlage bei: Castellani 1993 I, Abb. 38. 133
	        

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