Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1997) (94)

PETER KAISER IM LICHTE DER NACHWELT JÖRG GERMANN Eine Reaktion auf die Abweichungen der zwei- ten Auflage kam, wie schon nach In der Maur, sehr spät. Erst die neuesten Arbeiten nehmen Stellung, am deutlichsten Arthur Brunhart in der Einleitung zu seiner Ausgabe von Kaisers Geschichtsbuch: «Dennoch ist das Werk Kaisers bis heute unersetzt und unübertroffen, zumal die von Johann Baptist Büchel 1923 veranstaltete verbesserte Auflage der <Kaiser-Chronik> in den meisten Teilen über die Erstauflage nicht hinausgeht, diese jedoch stellen- weise in fragwürdiger Form verändert. Der geistige Hintergrund von Peter Kaiser war doch ein anderer als derjenige Johann Baptist Büchels.»138 1944 BIS 1971 Den gleichen streng kirchlichen Standpunkt wie Prälat Büchel, nun aber in offener Opposition, ver- tritt der Benediktiner Pater Iso Müller. In ver- schiedenen, weit auseinanderliegenden Arbeiten (1944-1971) befasst er sich intensiv mit Peter Kai- ser, der ja als Lehrer und Rektor in seinem Kloster Disentis tätig gewesen war, und steuert auch neue Dokumente aus bündnerischen Archiven bei. In ei- ner ersten Untersuchung von 1944 («Geistesge- schichtliche Studie über Peter Kaiser»139) setzt sich Iso Müller mit einem Aufsatz Kaisers auseinander, den dieser als Rektor der Kantonsschule Aarau 1830 geschrieben hat («Andeutungen über Geist und Wesen der Geschichte»140). Der Pater geisselt darin den Geist der Aufklärung, besonders aber den Einfhiss der Geschichtsphilosophie Hegels. Er lobt zwar Hegels «Idee der organischen Entwick- lung», bedauert aber, dass sie Hegel «bis zum Pan- theismus gesteigert»141 habe. Pantheismus ist hier, nach dem Muster anderer katholischer Autoren,142 im weitesten Sinne als jegliche Vermengung von Gott und Welt, im besondern als Einbeziehung der Kirche in die weltlichen Prozesse, als Unterwerfung ihrer Geschichte unter die Gesetze der «organi- 132) Eigentlich Johann Georg Heibert, wie Peter Geiger im JBL 90 darlegt. 
133) Kaiser S. 475. Auffallend ist die Ironie, die sonst gar nicht zu Kaisers Stil passt. 134) Kaiser S. 473, auch bei Büchel. 135) Büchel S. 43. 136) Aus dem Brief «An meine Landsleute». Abgedruckt in Brunhart 1993, S. 153. 137) Martin 1967, S. 148-150. «Wenn Peter Kaiser der grösste Pädagoge liechtensteinischer Nationalität war, kann Johann Baptist Büchel als der grösste in Liechtenstein tätige Pädagoge angesehen werden.» Ebenda, S. 149. 137a) Zwei Prinzipien Stessen aufeinander, die zwar beide, zumin- dest als Stufen, für die Führung des heranwachsenden Menschen nötig sein mögen, sich aber - sowohl durch gegensätzliche Theorien als auch im pädagogischen Alltag - immer wieder in die Quere kommen. Den tiefsten Grund für die beiden gegensätzlichen Zielset- zungen, wie ich sie bei Kaiser und Büchel glaube ausmachen zu können, haben wir wohl im Menschenbild zu erblicken, nämlich darin, ob wir uns unter dem Licht der Vernunft oder dem der Gnade sehen. 138) Kaiser 1989, Einleitung von Arthur Brunhart, Band 1, S. XXX. In seiner Biographie ist dieses Urteil dann sehr gemildert. Brunhart 1993, S. 199. 139) Müller 1944. 140) Peter Kaiser: Andeutungen über Geist und Wesen der Geschich- te. In: Programm der Aargauischen Kantonsschule 1830. Aarau, 1830. 141) Müller 1944, S. 72. 142) Vgl. besonders Franz Schnabel: Deutsche Geschichte des 19. Jahrhunderts, 1929-37, auf die sich Iso Müller mehrmals beruft. Die einschlägigen Stellen befinden sich in Band 5 der Taschenbuch- ausgabe von 1965 («Die Erfahrungswissenschaften»). Schnabel zitiert Hegel: «Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig.» Und fährt dann fort: «Alles ist Geist! Diese Philosophie ist der folgenrichtigste Monismus, der je gedacht worden ist: in der kurzen Spanne weniger Jahrzehnte hatte das deutsche Denken den Weg von Kants entschiedenem Dualismus über Fichte und Schelling bis in die entgegengesetzte Position durchmessen und war wieder beim Pantheismus angelangt, den zuletzt Spinoza vertreten hatte.» a.a.O., S. 16. Und eine Seite später: «Indem er (Hegel) den Pantheismus Spinozas mit der ... Lehre von der organi- schen Entwicklung alles Seienden verband vermochte er die Welt des Endlichen und Mannigfaltigen als eine Einheit zu denken.» a.a.O., S. 17. <Pantheismus> ist ein unscharfer philosophischer Begriff. Schnabel scheint ihn mit <Monismus> ziemlich gleichzuset- zen, geht damit auf seine ursprüngliche Bedeutung (Identifizierung von Gott und Welt) zurück und nimmt ihm die heute übliche Ein- schränkung auf Gott und Natur. Einhellig wird der Begriff auf Spinoza, schon weniger bestimmt auf Goethe und Schelling ange- wendet. Im Zusammenhang mit Hegel taucht er im «Lexikon für Theologie und Kirche» zwar unter dem Stichwort «Romantik», nicht aber unter «Hegel» auf. Die Zuordnung Hegels zum Pantheismus hat wohl der preussische König Friedrich Wilhelm IV. eingeleitet, als er Schelling nach Berlin berief, um «die Drachensaat des Hegel'schen Pantheismus» zu bekämpfen. 201
	        

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