Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1995) (93)

FRAUENARBEIT IN LIECHTENSTEIN 1924 BIS 1939 ANHANG / INTERVIEWS / CLAUDIA HEEB-FLECK KURZFASSUNG DES INTERVIEWS MIT J. UND R.J., HÄNDLERINNEN, HERBST 1987 (R.J. nahm an den ersten 10 bis 15 Minuten des Inter- views noch nicht teil.) F: Ausbildung? J: Nach der Schule habe ich eine Verkaufslehre in einem Lebensmittelgeschäft in Vaduz gemacht. Danach bin ich in unseren Laden eingetreten. Meine Schwester hat in dieser Zeit in der Landwirtschaft mitgearbeitet und später mit mir zusammen im Geschäft angefangen. F.- Lehrzeit und Lehrprüfung? J: Bei der Lehrprüfung sind zwei Experten aus der Schweiz in den Laden gekommen, in dem ich gearbeitet habe und haben die Prüfung abgenommen. Sie haben mir Fragen gestellt und haben beobachtet, wie ich mich ver- halte. Das ging schnell. F: Haben Sie während der Lehre Lohn bekommen? J: Eine Kleinigkeit habe ich verdient. F: Wie war das Arbeitsklima? J: Ich war mehr Laufbursche als Ladentochter. Mit dem Rad habe ich Kartoffeln zu Kunden gebracht und das neue Haus musste ich putzen helfen. Die Woche durch bin ich in Vaduz geblieben. Ich habe dort ein Zimmer gehabt. F: Mussten Sie am Abend auch noch in der Familie hel- fen? J: Nein, das schon nicht. F: Haben Sie in der Lehre auch Buchhaltung gelernt? J: Buchhaltung habe ich extra gelernt. In einem Kurs, un- abhängig vom Geschäft, aber noch während der Lehrzeit glaube ich. F: Haben Sie das von sich aus gemacht? J: Ja. R: Das wollte der Vater! Er meinte, sie solle nicht nur Kartoffeln austragen und ein bisschen verkaufen können, sondern nachher wirklich fähig sein, ein Geschäft zu füh- ren. Und dazu musste sie Buchhaltung lernen. Dann ist das weitergegangen. Wir haben den Laden gebaut. Wäh- rend dem Bauen kam eine Nachbarin, die eine Eisenwa- renhandlung hatte, die sie uns verkaufen wollte. Man wurde sich einig, aber jetzt stellte sich wieder das Pro- blem, den Eisenwarenverkauf zu erlernen. Da ging J. zur Firma Hasler Winterthur, unserem späteren Hauptliefe- ranten, und lernte als erstes Mädchen Eisenwarenverkäu- ferin. Das war während dem Krieg. Ich bin die gewesen, die die Schaufenster dekorieren musste. Ich hab alles auch nur mit Kursen gelernt. Ich bin dann bis in die wel- sche Schweiz, um die Dekoration zu lernen. Denn es ist sehr teuer, wenn man Dekorateure haben muss - und wir haben sechs Schaufenster gehabt! F: Waren Sie (R.) ansonsten bis 1938 konstant zu Hause? R: Nein, ich war noch in der Schule in Tirol. Dort habe ich eigentlich alles gelernt: Buchhaltung, Haushalt, Rechnen, 
Handarbeit - halt so eine Haushaltungsschule. Ungefähr ein halbes Jahr lang. Man musste zahlen, aber es war bil- lig, weil der Wechselkurs Franken-Schilling gut war. Ich musste ungefähr 20 Franken im Monat zahlen. Danach hab ich dann daheim geholfen. Nein - ich hab noch Schneiderin gelernt. Aber eigentlich nicht in der Meinung, den Beruf richtig zu erlernen. Einfach Schneidern lernen, das sei wichtig, das könne man gut brauchen. Das wollte unsere Mutter so. Sie hat alles selber geschneidert. Das war halt schon herrlich. Und meine Mutter wollte mir eben auch alles lehren. Da war ich einen Winter lang bei einer Schneiderin. F: Haben Sie einen Lehrvertrag abgeschlossen? R: Nein, ich wollte ja nicht Schneiderin werden, das wusste ich! Eher Pferdezüchterin! F: Kam das nicht in Frage? R: Es ist nicht gerade so gegangen, wie ich wollte. Ich hätte mehr durchgreifen sollen. Der Vater hätte mir ge- holfen, Aber mein Bruder hat einfach - er wollte, dass ich in der Landwirtschaft helfe. Da haben wir es halt so ge- macht! ... J. wollte studieren und der Bruder auch. F: Was? J: Tierarzt. F: Und die Realschule konnten Sie auch nicht besuchen? R: Eben nicht! Es war halt früher anders. Der Bruder kam auch nicht gleich in die Realschule. Nachher hat man doch gemeint, es sei schade, denn er lerne so leicht. Da hat ein Professor mit meinem Vater geredet und im Herbst ist der Bruder dann doch in die Realschule gekom- men. J. wäre halt gern wenigstens in die Handelsschule nach Feldkirch. Um Ärztin zu werden hätte sie studieren müssen, aber dafür fehlte das Geld. Damals hat man Bo- den gekauft, statt etwas anderes. F: Kam die Initiative, einen Laden zu eröffnen, von Ih- nen? J: Nein, das war die Idee unserer Mutter. Man wollte halt mit den Mädchen etwas machen, damit wir nicht in die Fabrik mussten. R: Entweder mussten die Mädchen dienen gehen oder in die Zahnfabrik. Als ich aus der Schule gekommen bin, sind Mädchen für 27 Rappen in die Zahnfabrik. Von Trie- senberg herunter! Das wäre ich nicht, vorher wäre ich ins Emmental als ... J: (lacht) Rossknecht. R: Nein, nein, als Hausmädchen. Das hätte mir auch Freude gemacht, bei den Tieren und alles! F: Wenn Sie solche Freude an der Landwirtschaft hatten, warum wurden Sie denn nicht Bäuerin? Wegen dem Bru- der? R: Nein, er hat sogar einmal gesagt, ich könne die Land- wirtschaft haben. Er mache dann etwas anderes. Aber das war halt dazumal für ein Mädchen nicht möglich. Heute könnte man das ja machen - mit den Maschinen. Und ich bin eben auch zu wenig durchgreifend gewesen! 123
	        

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