Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1995) (93)

FRAUENARBEIT IN LIECHTENSTEIN 1924 BIS 1939 BÄUERINNEN / CLAUDIA HEEB-FLECK «Für Familie, Haus und Hof» entworfenen Sollbild der Mutter entsprochen hätte. Für die Umsetzung der an die Bäuerin gestellten geistigen und seelischen Anforderungen als Mutter scheinen in Liechtenstein in der Zwischenkriegs- zeit die Voraussetzungen alles andere als günstig gewesen zu sein. Den Arbeitsalltag der Bäuerin prägte eine immense zeitliche und körperliche Ar- beitsbelastung, die dennoch nur ein bescheidenes wirtschaftliches Auskommen ermöglichte. Bäuer- liche Erziehung bedeutete darum in erster Linie die Versorgung der Kinder. Für eine intensive Be- schäftigung mit den Kindern im Sinne des bürger- lichen Erziehungsverständnisses fehlte die Zeit. Vielmehr wurden die Kinder so früh als möglich in den landwirtschaftlichen Arbeitsprozess miteinbe- zogen.468 Ausserdem war das - gemäss bürger- lichem Mutterbild undenkbare - Verdingwesen in Liechtenstein in der Zwischenkriegszeit noch recht häufig.469 Ideologischer Anspruch von aussen und Alltags- wirklichkeit, in der manche Bauernfamilie froh sein musste, eine/n Esser/in weniger am Tisch zu haben, klafften im Bereich der Kindererziehung auseinander. Andere ideologische Ansprüche wie die alleinige Zuständigkeit der Frau für das «see- lische und christliche Wohl» der Familie oder für die «Geborgenheit der Familie im Heim» werden wohl, neben der körperlichen Arbeit, auch für die liechtensteinische Bäuerin zum Arbeitsalltag ge- hört haben. 
464) So geben Steinmann/Matasci die starke Beanspruchung der Bäuerin in «Nebenerwerbsbetrieben» z.B. als Grund für die Unter- repräsentalion solcher Bäuerinnen in ihrer Erhebung an (S. 53). 465) Anhang, Interview mit J.K., S. 127. 466) Werner geht davon aus, dass die kurzbemessene arbeitsfreie Zeit der Bäuerinnen keine ausreichende körperliche und seelisch- geistige Erholung erlaube. Sie folgert daraus, dass ein Grossteil der Entspannungsphasen innerhalb der Arbeitszeit liegen müsse. Das bedeute, «dass die Frauen sich von der einen Tätigkeit erholen müs- sen, indem sie eine andere verrichten». Möglich sei dies durch die abwechslungsreiche Tätigkeit der Bäuerin (S. 181). 467) Werner, S. 174. Nach Steinmann/Matasci arbeiten Bäuerinnen und Bauern auch heute noch werktags durchschnittlich 12 Stunden und sonntags Bauern durchschnittlich 6 Stunden 45 Minuten, wäh- renddem Bäuerinnen 7 Stunden 20 Minuten arbeiten (S. 105). 468) Dabei bedeutete die Eingliederung der Kinder in den Arbeits- prozess durchaus nicht, dass Kinder nicht auch Zeit hatten, um z.B. auf dem Feld zu spielen. Zur bäuerlichen Erziehung vgl. z. B. P. Aries, Geschichte der Kindheit. 469) Anhang, Interview mit WS. Im Zusammenhang mit den Bestre- bungen, die Frauen eng in die Mutter- und llausfrauenrollc einzu- binden, wurde in der Zwischenkriegszeit die Wichtigkeit und Einma- ligkeit der Mutter-Kind-Beziehung betont. Ein «Weggeben der Kin- der» kam in diesem Verständnis einer unverzeihlichen Vernachlässi- gung der Muttorpflichten gleich. 460) Anhang, Interview mit WS., S. 130. 461) Sonntag. Nr. 32, August 1984, S. 13. 462) Nach einem Verzeichnis ausländischer Knechte, Hausburschen und Chauffeure vom 6. Januar 1935 zu schliessen, war die Zahl der bei selbständigen Bäuerinnen angestellten Knechte relativ tief. Von 99 aufgeführten Männern arbeiteten nur drei oder vier bei Bäuerin- nen (Wwe. Hermann, Schaan; Ida Büchel, Ruggell; Wwe Schurti, Triesen; Wwe. B. Negele, Triesen?). 463) Kerstin Werner schreibt in ihrem Aufsatz über Frauenarbeit in der mittelbäuerlichen Landwirtschaft zu Beginn des 20. Jahrhun- derts, dass insbesondere im Sommer Arbeitstage, «an denen bis zur physischen Entkräftung» gearbeitet wurde, durchaus keine Selten- heit waren (S. 179). 101
	        

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