Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1994) (92)

Hofkanzlei dem Landvogt die Bearbeitung dieser Gesetze übertrug, damit diese «mit Anfang des kommenden Jahres»6 als Grundlage für die neue Landesverfassung dienen konnten, macht deutlich, dass sie sich über die mit diesem Auftrag verbun- denen Probleme keineswegs bewusst war. Die Ge- setzgebung war eine Aufgabe, die den fürstlichen Beamten in der liechtensteinischen Hofkanzlei weitgehend fremd war. Offenbar war ihnen nicht bewusst, dass sie mit ihrem Auftrag einen einzel- nen Beamten, der zudem in der Ausarbeitung von Gesetzesentwürfen keinerlei Erfahrung besass, hoffnungslos überforderten. Landvogt Schuppler machte sich mit grösstem Ei- fer an seine Aufgabe. Bereits am 1. Januar 1809 wurden eine Grundbuchsordnung, eine Konkurs- ordnung und eine Erbfolgs- und Verlassenschafts- abhandlungsordnung erlassen. Schuppler arbeitete auch einen Entwurf für ein bürgerliches Gesetz- buch aus, der jedoch nie in Kraft gesetzt wurde.7 Bei der Ausarbeitung all dieser Gesetze hielt er sich eng an die österreichische Gesetzgebung. Nach diesen Gehversuchen zum Erlass einer selb- ständigen Gesetzgebung ging Fürst Johann I. be- reits 1812 zur systematischen Rezeption der öster- reichischen Gesetzgebung über. Mit der Verord- nung vom 18. Februar 1812 wurde bestimmt, dass das österreichische allgemeine bürgerliche Gesetz- buch von 1811, die österreichische allgemeine bür- gerliche Gerichtsordnung von 1781 und das öster- reichische Strafgesetz von 1803 für Liechtenstein übernommen werden sollten. Mit Ausnahme der 1809 neu erlassenen Gesetze wurden alle andern bürgerlichen und peinlichen Gesetze aufgehoben. Durch die Verordnung vom 16. Oktober 1816 wur- de schliesslich bestimmt, dass alle Erläuterungen und Nachtragsverordnungen zu den rezipierten österreichischen Gesetzen ebenfalls übernommen werden sollten.8 In der Maur sah in der Einführung des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches den entscheidenden Schritt in die Zukunft, «denn damit war der Boden geebnet, um der allgemeinen Rechtsunsicherheit nach und nach ein Ende zu bereiten.»9 Die «auto-matische 
Rezeption» der österreichischen Gesetze, wie sie Landvogt Menzinger zu nennen pflegte, trug jedoch kaum zu vermehrter Rechtssicherheit bei. 1835 schrieb Landvogt Menzinger, dass in Va- duz keine vollständige Gesetzessammlung vorhan- den sei. Besonders wichtig wäre es, dass das Ober- amt «möglichst schnell in Kenntnis jener nachträg- lichen k.k. österr. Verordnungen käme, welche auf das bürgerl. G.B., allg. G.O. etc. Bezug nehmen, weil bei Entscheidungen die Rechte, und Strafen der hochfürstl. Unterthanen davon abhängen, und bey einer möglichen Revision dem Oberamte Un- kenntniss der neuen Gesetzgebung mit Grund ge- rügt werden könnte.»10 Nach den Angaben Menzin- gers verfügte das Oberamt in Vaduz über keine vollständige österreichische Gesetzessammlung, die Nachtragsverordnungen waren nur vereinzelt nach Vaduz gelangt. Auf seine Bitte erhielt er schliesslich eine Gesetzsammlung im Justizfache und die Erlaubnis die «k. k. privilegirte Wiener Zei- tung» zu abonnieren, die als Amtsblatt die österrei- chischen Gesetze und Verordnungen sowie die Be- schlüsse des Bundestages publizierte.11 Ein offenkundiger Missstand bestand darin, dass die österreichischen Nachtragsverordnungen in Liechtenstein nicht publiziert wurden. Durch die Verordnung vom 20. Januar 1843 wurde daher die automatische Rezeption der österreichischen Ju- stizgesetze eingestellt. Der Landvogt sollte in Zu- kunft diese Gesetze sammeln, sie vierteljährlich der Hofkanzlei zusenden und dabei beantragen, wel- che Gesetze und Verordnungen für Liechtenstein übernommen werden sollten. Diese vom Landvogt als nötig erachteten Gesetze sollten dann die «höchste landesfürstliche Sanction» erhalten und im Fürstentum publiziert werden. Mit dieser Verordnung wurde zwar die Rezeption der österreichischen Gesetzgebung formal sauber gelöst, in der Praxis verminderten sich jedoch die Probleme kaum. In den 1840er Jahren sandte Men- zinger zwar die verlangten Zusammenstellungen mit den entsprechenden Anträgen sporadisch ein, nach 1848 geriet jedoch die Rezeption des österrei- chischen Rechts in argen Rückstand. Die Novelle zum österreichischen Strafgesetz von 1852 wurde 94
	        

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