Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1994) (92)

Die Organisation der fürstlichen Verwaltung Unabhängig vom Fürstentum Liechtenstein be- stand im 19. Jahrhundert für die Verwaltung der zahlreichen liechtensteinischen Herrschaften ein Verwaltungspparat, der nach dem Beispiel der österreichischen Verwaltung hierarchisch aufge- baut und streng zentralisiert war. Die oberste Ver- waltungsbehörde war die fürstliche Hofkanzlei, der die einzelnen Herrschaftsämter in allen Fragen un- tergeordnet waren. Liechtenstein wurde, soweit dies die lokalen und politischen Verhältnisse zulies- sen, nach den gleichen Grundsätzen verwaltet. Eine Herauslösung des Fürstentums aus dieser Verwaltungsorganisation erfolgte erst durch die Verfassung von 1862, die dem Fürstentum eine selbständige Regierung mit Sitz in Vaduz zuge- stand, die dem Fürsten direkt verantwortlich war. In diesem Kapitel soll nun der Aufbau des fürst- lichen Verwaltungsapparates in den Grundzügen vorgestellt werden. UMFANG DES FÜRSTLICHEN BESITZES Über den Umfang des grundherrlichen Besitzes des Hauses Liechtenstein im Vormärz liegen keine voll- ständigen Angaben vor. Nach 1848 - also nach der Grundentlastung in Österreich - besass das Haus Liechtenstein neben dem souveränen Fürstentum Liechtenstein die beiden Herzogtümer Troppau und Jägerndorf, die Grafschaft Rietberg und wei- tere 65 Herrschaften. «Diese unmittelbaren Güter zählen mehr als 350 000 Seelen, in 24 Städten, 2 Vorstädten, 35 Marktflecken, 760 Dörfern und Ansiedlungen, 46 Schlösser, 11 Klöster und 164 Meiereien.»1 Ohne das Fürstentum Liechtenstein betrug der fürstliche Grundbesitz in Böhmen, Mäh- ren, Schlesien, Niederösterreich und Ungarn nach 1848 etwa 1800 km2. Ein Viertel dieses Besitzes wurde landwirtschaftlich, der Rest forstwirtschaft- lich genutzt.2 Im Vergleich zu diesem Herrschaftskomplex nahm sich das Fürstentum Liechtenstein von seiner räumlichen Ausdehnung und seiner Bevölkerungs- zahl her gesehen bescheiden aus: Das Fürstentum war 160 km2 gross und zählte um 1815 etwa 6100, 
um 1852 etwa 7400 Einwohner.3 Wirtschaftlich ge- sehen war der Erwerb von Vaduz und Schellenberg für das Fürstenhaus von Beginn an ein Verlustge- schäft, da die Einnahmen aus dem Fürstentum nie ausreichten, um die Summe zu verzinsen, die beim Kauf hatte ausgelegt werden müssen.4 In anderer Hinsicht stellte das Fürstentum, das 1806 durch die Aufnahme in den Rheinbund von einem Reichsfürstentum zu einem souveränen Für- stentum befördert wurde, für das Fürstenhaus einen unersetzbaren Wert dar: Dieser Besitz ver- mehrte den Glanz und das Ansehen des Hauses und sicherte ihm innerhalb der österreichischen Hocharistokratie einen der ersten Plätze zu: Wurz- bach meinte gar, dass Fürst Alois II. als souverä- nem deutschem Fürst und Mitglied des Deutschen Bundes die erste Stelle zustand.5 DIE HOFKANZLEI IN WIEN Die fürstliche Hofkanzlei bildete die oberste Zen- tralbehörde, die unmittelbar dem Fürsten unter- stellt war. Da sie für alle wirtschaftlichen, gericht- lichen und politischen Angelegenheiten des fürstli- chen Besitzes zuständig war, war ihr Aufgabenbe- reich entsprechend weit formuliert: Sie sollte aus der Kenntnis des «Ganzen» heraus für eine mög- lichst wirtschaftliche Nutzung des fürstlichen Besit- zes besorgt sein, überall «Einheit, Ordnung und Zweckmässigkeit» verbreiten, Missbräuchen vor- beugen und dem Fürsten «einen richtigen Über- 1) Wurzbach, Biographisches Lexikon. Bd. 15, S. 137. 2) Stekl, Österreichische Aristokratie, S. 13-15; Feger. Johann IL, S. 33; Kraetzl, Fürstentum Liechtenstein, S. 117. 3) Gemeint sind die anwesenden Einwohner. Zu den Problemen der liechtensteinischen Bevölkerungszählung vgl. A. Ospelt, Wirtschafts- geschichte, S. 45 ff. 4) Die Herrschaften Vaduz und Schellenberg wurden zu Beginn des 18. Jahrhunderts für 405 000 Gulden gekauft. Zur Verzinsung dieser Kaufsumme - bei einem üblichen Zinssatz von 5 Prozent - wären also jährliche Beinerträge von mindestens 20 000 Gulden aus dem Fürstentum nötig gewesen. Diese Summe wurde nie auch nur annä- hernd erreicht. Vgl. dazu S. 77. 5) Wurzbach, Biographisches Lexikon, S, 142. 42
	        

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