Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1994) (92)

VERWALTUNGSSTRUKTUR UND VERWALTUNGSREFORMEN VERHÄLTNIS STAAT - KIRCHE / PAUL VOGT «Die wohlthätige Einwirkung der Religion auf die Aufklärung des Verstandes und Veredlung des Her- zens wird gänzlich vermisst.»21 Aus dieser Haltung heraus suchte das Oberamt die immense Zahl der Feiertage einzuschränken und zahlreiche Prozes- sionen und Wallfahrten zu verbieten.22 Die ver- schiedenen religiösen Bruderschaften - mit Aus- nahme von Mauren bestand in jeder Pfarrei minde- stens eine solche Bruderschaft23 - wurden zwar nicht wie in Österreich aufgehoben, soweit sie aber über grosse Vermögen verfügten, sollten diese für Wohltätigkeitszwecke verwendet werden.24 In der Ausübung ihrer religiösen Funktion, der Verehrung bestimmter Heiliger und der Ausübung religiöser Bräuche, wurden diese alten Gemeinschaften je- doch nicht eingeschränkt. Grundsätzliche Differenzen zwischen Staat und Kirche traten vor allem dort auf, wo das in Liech- tenstein eingeführte österreichische allgemeine bürgerliche Gesetzbuch vom kanonischen Recht abwich. Die katholische Kirche ging davon aus, dass das kanonische Recht auf göttlichem Gebot beruhte, für alle Gläubigen zeitlos gültig und prinzipiell unveränderbar war. Unterschiedliche Rechtsauffassungen ergaben sich vor allem im Eherecht und bei Taufen. Schwierigkeiten bei Tau- fen traten bei jenen Kindern auf, deren umherzie- hende Eltern keine Heimatsausweise besassen. Der Bischof von Chur stellte sich auf den Standpunkt, dass die Spende des heiligen Sakramentes der Tau- fe ein göttliches Gebot war und niemandem ver- weigert werden durfte. Dem hielt Schuppler in ei- ner «staatsrechtlichen Gegenerklärung» entgegen, dass nach dem abGB Kinder am Wohnort ihrer El- tern getauft werden müssten. Alle Regierungen Deutschlands und der Schweiz hätten den Grund- satz angenommen, «lediges verdächtiges Gesindel dorthin zu schieben, wo es getauft; und verheira- thetes dorthin, wo es copuliert worden.» In Liech- tenstein müssten ohnehin schon viele Fremde ge- duldet werden, bloss weil sie hier getauft worden seien.25 Die Lösung des Problems, mit der schliess- lich beide Seiten einverstanden waren, bestand darin, dass die Kinder zwar getauft werden durf- ten, «die Herren Seelsorger (aber) über eine solche 
Taufe nur eine geheime mit dem ordentlichen Tauf- buche in keiner Verbindung stehende Vermerkung führen; und sie auf keine Weise beurkunden» durf- ten.26 Die Hauptschwierigkeiten zwischen Staat und Kir- che ergaben sich aus dem Eherecht, da das bi- schöfliche Ordinariat die eherechtlichen Bestim- mungen des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbu- ches nie anerkannte. Nach dem abGB kam eine Ehe einem bürgerlichen Vertrag gleich, konnte also auch wieder geschieden werden. Nach kirchlichem Recht wurden durch die Ehe zwei Menschen un- 14) Menzinger an Ignaz Wenzel am 30. September 1858. LLA RC 107/136. 15) Alois Ospelt, Wirtschaftsgeschichte, S. 136; Geiger, S. 323. 16) J.B. Büchel schrieb zum Kirchenbau von 1844 in Mauren: «Weitaus die meisten Bürger übernahmen diese Frondienste willig; einige wurden wegen Renitenz in Vaduz eingesperrt.» J.B. Büchel, Mauren. In: JBL 1916. S. 16. 17) In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden neue Pfarrkirchen in Balzers, Triesen und Mauren. Die Pfarrkirchen in Bendern und Eschen mussten umfassend renoviert werden. Der Bau einer Kirche in Schaan wurde jahrzehntelang hinausgeschoben. Die Auseinandersetzungen um diese Kirchenbauten hatten stets die glei- che Ursache: Die Patronatsherren wollten ihren Pflichten nicht nach- kommen. Vgl. dazu die betreffenden Pfarreigeschichten von J.B. Bü- chel. 18) Otto Brunner, Staat und Gesellschaft im vormärzlichen Öster- reich, S. 69. 19) ebda. S. 70; besonders ausführlich Beidtel, Staatsverwaltung, Bd. 1, S. 46 ff. 20) Helbling, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsge- schichte, S. 341. 21) Schuppler, Beschreibung des Fürstentums Liechtenstein, JBL 1975, S. 244. 22) Malin, S. 66 ff. 23) Es bestanden folgende Bruderschaften: in Balzers die Mariahilf- Bruderschaft, in Triesen die Bruderschaften des Rosenkranzes und des Kirchenpatrons Gallus, in Triesenberg die St. Josephi-Bruder- schaft, in Schaan und Bendern bestanden Rosenkranzbruderschaf- ten, in Eschen die Bruderschaft des hl. Sebastian. Als «reiche» Bru- derschaften galten die Duxer Kapelle und die St. Annabruderschaft in Vaduz. Schuppler an HK am 28. Juli 1812. LLA RC 25/21. 24) Dienstinstruktion von 1808, Art. 8 und 9. - Vgl. Kapitel 8.3. 25) Schuppler an den Bischof 13. Februar 1823. LLA RB Fasz. F 3. 26) Circular des OA an die liechtensteinische Geistlichkeit vom 21. 2. 1823. LLA RB Fasz. F 3. 119
	        

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