Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1994) (92)

Lehrerinnen vom Orden der barmherzigen Schwe- stern aus dem Tirol angestellt.41 Ihnen oblag die Er- ziehung der weiblichen Schuljugend, bei der sie insbesondere das «typisch Weibliche» fördern soll- ten. Die Tätigkeit dieser Schulschwestern wurde bald als segensreich empfunden und stiess dement- sprechend auf eine mehr oder weniger ungeteilte Zustimmung. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte wurden in allen Gemeinden Lehrschwestern einge- stellt. DIE SOZIALEN FOLGEN DER SCHULREFORMEN Peter Geiger gelangte in seiner Dissertation zur An- sicht, dass das Schulwesen in Liechtenstein erst etwa um 1860 das Niveau der umliegenden Staaten erreicht habe.42 Zu einem negativen Urteil über das Schulwesen war schon Peter Kaiser 1847 gelangt: «Die Volksbildung und Erziehung war und blieb der schwächste Theil der Verwaltung.»43 Die Ursa- chen für diese Bildungsmisere lagen tief: In der liechtensteinischen Bevölkerung bestand bis weit ins 19. Jahrhundert eine weit verbreitete Bildungs- feindlichkeit, da der Nutzen der Schulbildung nicht eingesehen wurde. Die Gemeinden suchten die ge- setzlichen Bestimmungen zu umgehen, da für sie der Bau von Schulhäusern und der Unterhalt der Lehrer eine schwere finanzielle Belastung darstell- ten. Fast in allen Gemeinden wurden erst in den 1830er oder 1840er Jahren eigentliche Schulhäu- ser erbaut. Anlass zu Kritik gaben auch die zu grossen Schulklassen, die schlechten Lehrmetho- den, die oft nur auf einem mechanischen Auswen- diglernen beruhten, sowie die mangelnde Ausbil- dung der Lehrer überhaupt.44 Ein soziales Problem ersten Ranges stellte die Kin- derarbeit dar, der schulpflichtige Kinder unter 12 Jahren während des Sommers im Ausland nach- gingen. 1842 reichten die Lehrer beim Besuch des Fürsten eine Petition ein, worin sie um ein Verbot der Schwabengängerei von Schulpflichtigen baten. Landvogt Menzinger hielt ein solches Verbot für wenig sinnvoll, wie aus seiner Stellungnahme zu 
dieser Petition hervorgeht: «Die Auswanderung schulpflichtiger Kinder unter 12 Jahren entweder nach Schwaben, oder in benachbarte Fabriken wurde nur auf Einrathen des Pfarrers und des Ortsvorstandes solchen Kindern bewilligt, deren Eltern in so dürftigen Umständen sich befinden, dass sie ihre Kinder entweder aus Mangel an eige- nem Unterhalte oder Schulden wegen auf Verdienst wegschicken mussten. Es wird sich auch in Hin- kunft schwer anders thun lassen.»45 Fürst Alois II. verbot entgegen dem Antrag Menzingers das Aus- wandern von Kindern,46 doch scheint es zweifel- haft, ob ein solches Verbot die Kinderarbeit tat- sächlich verhindern konnte. Inwieweit die Schule in Liechtenstein eine geistige Mobilisierung bewirkte, lässt sich schwer feststel- len. Offenbar war die Qualität der liechtensteini- schen Schulen mindestens in den ersten Jahrzehn- ten des 19. Jahrhunderts so schlecht, dass ein Teil der Schulabgänger Analphabeten blieben. So schrieb Landvogt Schuppler 1825 an die Geist- lichen, dass viele ausgeschulte Kinder oft nicht «einmal lesen, viel seltener schreiben können.»47 Der grössere Teil der Bevölkerung hatte auch kaum die Gelegenheit, die einmal erworbenen Lesekennt- nisse im Alltag zu verwenden. Die erste liechten- steinische Zeitung, die «Liechtensteinische Landes- zeitung», erschien erst 1863.48 Ausländische Zei- tungen wurden nur in den «besseren Familien» ge- lesen. So schrieb Menzinger 1856 an den Fürsten, dass bis 1853 «fast in jedem bessern Hause eine St. Galler oder Bündner Zeitung vorgelegen (habe), welche nur wenige Gulden gekostet hatte, und zu ersehen gab, was in der Nachbarschaft verhandelt wurde.» Durch den Zollvertrag von 1852 seien aber die Abonnementskosten beträchtlich erhöht wor- den, was 1854 zur Abbestellung vieler Schweizer Zeitungen geführt habe.49 Bücher waren in Liech- tenstein kaum erhältlich, trotzdem hielten die fürstlichen Beamten eine Gesinnungskontrolle in Form einer Zensur für angebracht. Wiederholt wurde auch in Liechtenstein die Verbreitung jener Bücher verboten, die von der deutschen Bundes- versammlung und von Österreich verboten wur- den.50 Anfänglich verboten wurde auch die «Ge- 112
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.