Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1992) (91)

DR. MED. WILHELM SCHLEGEL - ARZT UND POLITIKER RUDOLF RHEINBERGER In der nächsten Sitzung am 20. Dezember brachte der Unterländer Abgeordnete Michael Kaiser ein Gesuch sämtlicher Gemeinderatsmitglieder aller Unterländer Gemeinden um Beibehaltung des alten Münzsystems ein, da der Regierungsentwurf mit unnötigen Härten verbunden war. So sollte der Tag der Inkraftsetzung des neuen Gesetzes schon der 1. Januar 1877 sein. Von diesem Tage an sollten alle Zahlungen in Gold oder dem entsprechenden Goldwert des Silberguldens geleistet werden. An- statt nun den Unterländern Entgegenkommen zu zeigen und eine grosszügige Übergangslösung zu schaffen, konnte es den Oberländern nicht schnell genug gehen. Sie billigten lediglich einer Verschie- bung des Inkrafttretens des Münzgesetzes um ei- nen Monat und der Möglichkeit, Darlehen noch mit alten Silbergulden bis Ende Juli 1877 zurückzuzah- len, zu. Schon am 23. Dezember beschlossen die 11 Oberländer Abgeordneten - die 4 Unterländer Landtagsmitglieder waren gar nicht mehr zu dieser Sitzung erschienen - das neue Münzgesetz, nach- dem durch die Billigung des neuen Zollvertrages mit Österreich der Weg dazu frei geworden war. Diese Eile und das mangelnde Entgegenkommen der Goldbefürworter sollten sich rächen. Die 4 Un- terländer Abgeordneten legten ihre Mandate nie- der und die Agitation gegen das neue Münzgesetz nahm von Tag zu Tag zu. Auf den 13. Januar 1877, den Tag des Sessionsschlusses, hatten die Unter- länder eine Grossdemonstration gegen das be- schlossene Gesetz organisiert. Kurz nach Schluss der Landtagssitzung marschierten mehrere hun- dert136 Unterländer vor dem Regierungsgebäude in Vaduz auf. Eine Delegation verlangte, vom Regie- rungschef empfangen zu werden, und forderte die Aufhebung des Münzgesetzes und die Auflösung des Landtags. Sie drohten sogar mit dem Austritt des Unterlandes aus dem liechtensteinischen Staatsverband und dem Anschluss an Österreich, falls ihren Forderungen nicht stattgegeben werde. Dies war nun auch für die Abgeordneten, die ihre Stimme für das Münzgesetz eingelegt hatten, ein unüberhörbares Mahnzeichen, zumal es Hinweise dafür gab, dass auch im Oberland die Mehrzahl der 
Bevölkerung nicht unbedingt hinter dem umstritte- nen Gesetz stand. Sie legten daher ihr Mandat ge- meinsam nieder und ersuchten den Fürsten um Auflösung des Landtages. Am 18. Januar 1877 ver- fügte der Fürst die fällige Auflösung des Landtages, um die verworrene Situation durch Neuwahlen klä- ren zu können. Gleichzeitig sistierte er das kaum drei Wochen alte Münzgesetz. Nun wurden auf den 30. April 1877 Neuwahlen ausgeschrieben. Die Bestellung der Wahlmänner erfolgte reibungslos, so dass auch für die Abwick- lung der eigentlichen Wahlen keine Schwierigkei- ten vorauszusehen waren. Doch wer dies glaubte, hatte sich getäuscht. Die Oberländer Wahlmänner hatten unter sich vereinbart, im ersten Wahlgang nur Oberländer Abgeordnete zu wählen, und sie führten diese Vereinbarung auch durch. Das Resul- tat: Aus dem ersten Wahlgang gingen sieben Ober- länder Abgeordnete hervor. Dieses unkluge Vorge- hen in einer politisch ohnehin schon gespannten Situation weckte den Argwohn der Unterländer, dass sie überfahren werden sollten; und sie weiger- ten sich, am weiteren Wahlgeschehen teilzuneh- men. Da nützten alle Beteuerungen der Oberländer, dass die Unterländer im zweiten Wahlgang zu ih- rem Recht kommen sollten, nichts. Die Unterländer Wahlmänner entfernten sich, und damit war eine Fortsetzung der Wahl verunmöglicht, da für eine gültige Wahl die Anwesenheit von zwei Dritteln der Wahlmänner vorgeschrieben war. Der Eklat war vollständig. Die Unterländer hatten ihr Vertrauen verloren, und dieses konnte erst langsam in vielen 130 David Rheinborger an Schwägerin Fanny, Brief v. 22. 3. 1877, RhAV VII 132) LLA Landtagsakten, Protokoll v. 19. Okt. 1875, und Liecht. Wochenzeitung, 22. Okt. 1875, Nr. 43 133) LLA Landtagsakten, Prot. d. Finanzkommission v. 24. Dez. 1875 134) LLA Landtagsakten, Prot. v. 10. Jan. 1876 135) Franz Josef Kind war Regierungsmitglied (Landrat). 136) Die Zahlenangaben schwanken, nach Albert Schädler «Land- tag» waren es 300 Personen, ebenso nach Alois Ospelt «Wirtschafts- geschichte». Paul Vogt berichtet in «Brücken zur Vergangenheit» von 600 Demonstranten. 195
	        

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