Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1991) (90)

DIE FASTENTÜCHER VON BALZERS REINER SÖRRIES Vorsehung Gottes in Allem stets leiten lasse und nie in der Überzeugung wanke, dass Gott Alles zu mei- nem Besten anordne und lenke. Amen.» Die ebenso schwülstigen wie sentimentalen Formu- lierungen der Gebete liefern eine hinreichende Er- klärung auch für die von uns als <kitschig> empfun- dene Darstellungsweise. Ähnlich subjektive Emp- findungen sind den mittelalterlichen Fastentüchern eher fremd und kommen in der Kleinteiligkeit ihrer Darstellungen überhaupt nicht zum Tragen. Ab dem Beginn der Barockzeit setzen sich deshalb nicht nur die altarverhüllenden, sondern auch die einszenigen und damit die einzelne Szene gross darstellenden Fastenbehänge durch, die mit ihrem Detailreichtum Gefühle intensiver ansprechen kön- nen und die Konzentration auf das einzelne Gesche- hen ermöglichen. Vom ausgehenden 17. bis zum 19. Jahrhundert scheinen sie dem Lebensgefühl der Menschen voll zu entsprechen. Nicht nur auf den Fastentüchern, sondern auch in den Aufführungen der beliebten Passionsspiele sind die Menschen dem Leiden Christi durch religiöse Vorstellungskraft sehr nahe gekommen. Es ist des- halb nicht verwunderlich, dass die Fastentuchiko- nographie Anleihen aus dem Passionsspiel nimmt. Diese Beobachtung lässt sich an vielen Fastentü- chern machen13, auch an den neu gefundenen aus Schloss Gutenberg. Betrachtet man etwa das Bild mit der Geisselung, so erscheint der Raum des Ge- schehens, vom Platten belegten Fussboden abgese- hen, strukturlos. Er wirkt wie eine Bühne. Die balu- sterförmige Geisselsäule erscheint darauf wie ein hölzernes, bewegliches Requisit.14 Das gleiche gilt für den eigenartigen Felsblock, auf dem Christus während der Dornenkrönung sitzt. Dieser Block ist vollkommen aus der Landschaft gelöst und steht frei im Bühnenraum. Die Gewandung der Schergen stammt ebenfalls aus der Requisitenkammer; sie bemüht sich einerseits um einen antikisierenden Habitus, etwa bei den Helmen mit dem <römi- schen> Federbüschen, andererseits um ein zer- lumptes Äusseres, um die Niedertracht der Folter- knechte auszudrücken. Besonders die roten, unter dem Wamsrock getragenen Hosen scheinen typisch für die Bekleidung zu sein.1"' 
ENTSTEHUNGSZEIT UND URSPRÜNGLICHE HERKUNFT Schon aus den Bemerkungen zum kulturellen Hin- tergrund geht deutlich hervor, dass die neu gefun- denen Fastentücher typische Vertreter der späten Barockzeit sind. Formale und ikonographische Pa- rallelen kennen wir aus dem 17. und dem 18. Jahr- hundert. Nähergehende, rein stilistisch argumen- tierende Beobachtungen sind bei Werken der Volkskunst stets mit Vorsicht anzuwenden. Einen glücklichen Umstand sehen wir deshalb darin, dass ein dem Fastentuch mit dem Vesperbild paralleles Stück im Vorarlberger Landesmuseum in Bregenz durch eine Signatur auf 1681 datiert ist.16 Bei die- sem Tuch (Abb. 6), dessen Herkunft leider nicht bekannt ist, das aber aus dem Vorarlberger Raum stammen dürfte, handelt es sich beinahe um eine Dublette des Gutenberger Vesperbildes. Lediglich der Körper Christi liegt seitenverkehrt auf dem Schoss der Gottesmutter. Auch die Verbindung von Vesperbild und Schmerzensmutter sowie die am Boden liegende Dornenkrone haben ihre Entspre- chung. Ebenso ist der Bildausschnitt derselbe. In dem Vorarlberger Tuch dürfen wir also einen Da- tierungsanhalt sehen, wenngleich eher im Sinne eines terminus post, denn das Vorarlberger Tuch ist noch schwarzgrundig, eine typische Erschei- nung des 17. Jahrhunderts, während das Gutenber- ger Bild auf blaugrundige Leinwand gemalt ist, wie es im 18. Jahrhundert die Regel ist. 12) Vgl. Sörries, Alpenländische Fastentücher, S. 276-278. 13) vgl. die Tücher in St. Peter Taggenbrunn/Kärnten (Sörries, Kat. Nr. 28) und Strassburg/Kärnten (Nr. 27). 14) Ausstellungskatalog: Hört, sehet, weint und liebt. Passionsspiele im alpenländischen Raum. Ausstellungskatalog Oberammergau 1990. Hrsg. Michael Henker u.a. München, 1990. Kat. Nr. 44-45: Das Re- quisit einer hölzernen Geisselsäule von den Oberammergauer Passi- onsspielen aus dem 18. Jh. hat sich erhalten ebenso eine darauf basierende Darstellung der Geisselung Christi von Joh. Jos. Zwinck um 1725. 15) Ebd. Kat. Nr. 37. 16) Sörries, Alpenländische Fastentücher, Kat. Nr. 63; ders., Fasten- tücher im Vorarlberger Landesmuseum. S. 128 f. 379
	        

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