Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1991) (90)

Teilnahme gedenke ich des herben Schmerzes, den Dein zärtliches Mutterherz empfunden hat, als Du, bei der Opferung Deines göttlichen Kindes im Tem- pel, aus dem Munde des ehrwürdigen Greises Sime- on die Worte hörtest: <Dieser ist gesetzt zum Falle und zur Auferstehung Vieler in Israel, und zu einem Zeichen des Widerspruches. Und auch Dein Herz wird ein Schwert durchbohren.> Durch dieses Dein Leiden, das ich jetzt andächtig erwäge, bitte ich Dich, o meine gebenedeite Mutter, nimm mich unter allen Nöten und Bedrängnissen dieses Lebens unter Deinen mütterlichen Schutz, damit ich dem- selben, gleich Dir, meinem Gotte ergeben bleibe, und bis ans Ende in seinem Dienst standhaft behar- re. Amen.»9 Neben der Beschneidung Christi im Tempel zählen die Flucht nach Ägypten, der zwölf- jährige Jesus im Tempel, die Passion Christi, die Kreuzigung, die Kreuzabnahme und die Grable- gung zu den sieben Schmerzen Mariens. So erlebt der barocke Mensch das Leiden Christi in einer Art Compassio, einem Mitleiden, das durch den Mutter- schmerz gleich wie durch ein Brennglas konzen- triert wird. Gleiches gilt für die beiden anderen Fastentücher, die Geisselung und Dornenkrönung zeigen. Beide werden innerhalb der sieben Schmerzen Mariens unter der vierten Betrachtung behandelt. Sie ent- stammen aber andererseits, wie auch die Geschich- te der Entwicklung der Fastentücher zeigt10, den Betrachtungen der fünf schmerzhaften Geheimnis- se und sind damit dem Rosenkranz, dem gebräuch- lichsten Formular der volksfrommen Andacht, ver- bunden. FASTENTUCH DES LINKEN NEBENALTARES In der Regel hängt das Fastentuch mit der Szene der Geisselung über dem linken Nebenaltar. In der Mitte der zentralen Bildkomposition steht der nur mit einem Schurz bekleidete Christus. Die Arme zurückgebogen ist er an die balusterförmige, niede- re Geisselsäule gebunden. Sein bleicher Körper ist von blutigen Striemen überzogen, welche ihm die beiden seitlich stehenden Schergen mit ihren Ruten 
zugefügt haben. Beide Folterknechte unterstreichen durch ihre exzessive Bewegung die Brutalität der Misshandlung. Der rechte hat den Arm erhoben, um mit kraftvoller Bewegung die Rute auf den Kör- per Christi niedersausen zu lassen, der linke dage- gen stösst mit seinem Knie schmerzhaft in die Lei- stengegend des Gefolterten, während er mit seiner linken Hand Christus eine Haarlocke ausreisst. Sein Gesichtsausdruck zeigt eine belustigte Miene am grausamen Geschehen. Dazu kontrastiert der duld- same Blick Christi, der alle Folter willig auf sich nimmt. Die Stimmungslage entspricht dem Vesperbild. Sie findet sich ausgedrückt in den Formularen zur Be- trachtung der schmerzhaften Rosenkranzgeheim- nisse: «Jesus an die Säule gebunden, mit Ruten und Peitschen jammervoll geschlagen und zerfleischt, um die Sünden der wollüstigen Welt zu tilgen. Lerne, o Sünder, dass der Weg zum Himmel Abtö- tung sei, und dass nur jene dahin gelangen, die sich Gewalt antun.» Die Betrachtung fährt fort mit einem Gebet: «Unschuldiger Jesu, der Du an die Säule gebunden, mit Geissein grausam zerfleischt wurdest, erbarme Dich unser, und wasche uns mit Deinem unschuldig vergossenen Blute rein von un- seren Sünden! Tilge durch den Anblick Deiner Schmerzen in unseren Gliedern die Lust zur Sünde, und lass den unendlichen Wert Deines Blutes an Keinem von uns verloren sein.» Und die Betrach- tung endet schliesslich mit einem <Gesang>: «0 Geissei, Striemen, Wunden, - grausamer Feinde Wut, - die Jesus hat empfunden, - gegeisselt bis aufs Blut! - Kommt her, ihr Sündenknechte, - kommt, seht wie Gottes Sohn, der Heil'ge, der Ge- rechte, - hier büsst der Wollust Lohn.» Der formale Bildaufbau, der von einer Vorlage ab- hängig sein dürfte, ist durchaus gelungen; beherr- schend ist eine <Diagonale des Schmerzes> von links unten nach rechts oben. Diese Diagonale führt vom vorstossenden Knie des linken Schergen zum erhobenen Arm des rechten, und auch der Körper Christi folgt dieser Linie. Unterbrochen wird die Diagonale durch den rechten Arm des linken Folte- rers und den linken Arm des rechten Schergen; beide Arme sind parallel geführt. Die Ausführung 374
	        

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