Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1991) (90)

gung nicht ausdrücklich aus den Verfassungen und Gesetzen gestrichen wurde, fiel sie häufig faktisch ausser Vollzug.56 Die Verfassungstexte der Amerikanischen und Französischen Revolution und in deren Gefolge der übrigen liberal-demokratischen Verfassungen ver- halfen im 19. Jahrhundert politischen Leitideen zum Durchbruch, die die Huldigung zu einem dys- funktionalen Relikt werden Hessen.57 Manche die- ser Ideen haben ihre Wurzeln in der frühen Neu- zeit; zum Abschluss mögen hier jene besonders er- wähnt werden, die verständlich machen, weshalb die Huldigung immer mehr zum Traditionsballast ohne substantielle Bedeutung verkommen musste: 1. Der Staat der Neuzeit löst sich immer stärker von der Kirche ab, und dies in mehrfacher Hinsicht. Er rechtfertigt sein Flandeln immer weniger religiös und immer stärker aufgrund rein innerweltlicher Vorgaben; er toleriert in seinem Territorium zuneh- mend die Koexistenz verschiedener Konfessionen, später auch religiöse Gleichgültigkeit und Atheis- mus und macht es sich schliesslich zu einer seiner wichtigsten Aufgaben, das Grundrecht auf individu- elle Glaubens- und Gewissensfreiheit zu garantie- ren und zu schützen. Dieser sich säkularisierende Staat kann aber gleichzeitig mit immer weniger Grund von seinen Untertanen mit dem Eid eine Sache fordern, wofür Gottesfurcht und Gottesglau- be unabdingbare Voraussetzungen sind. 2. Der Staat der Neuzeit versucht mit immer mehr Erfolg, seine Herrschaft auf eine objektivierte Grundlage zu stellen. Als wirksamstes Kriterium dazu bietet sich das Territorium an: wer im Territo- rium geboren wird oder sich dort niederlässt, er- klärt sich ohne jede weitere spezielle Anerken- nungshandlung zum Untertanen des jeweiligen Landesherrn. Seit dem 17. Jahrhundert stimmen denn auch die meisten Staatsrechtslehrer darin überein, dass einer nicht huldigt, um Untertan zu werden, sondern weil er es bereits ist und mit der Huldigung nurmehr seine bereits an und für sich bestehende Untertänigkeit anerkannt werde.58 3. Sodann unternimmt der Staat der Neuzeit den langfristig erfolgreichen Versuch, die Vielfalt an 
ständischen und korporativen Sonderformationen und Partikularismen in seinem Einflussbereich zu- rückzudrängen und die Bürger und Bauern zu einer Gesellschaft von Untertanen zu nivellieren; das be- deutet praktisch v.a., dass sämtliche Bewohner eines Territoriums gleichmässig von der sich rasant ausweitenden Regelungstätigkeit des Staates, von seiner Gesetzgebung, erfasst werden sollen, und dazu bedarf es eines Verhältnisses zwischen Obrig- keit und Untertanen, das nicht mehr primär auf wechselseitiger Treue, sondern auf einer einseiti- gen Befehl-Gehorsam-Beziehung beruht. Flier ist für die Huldigung, die in ihrer Wechselseitigkeit Vertrags- und Tauschcharakter aufweist, prinzipi- ell kein Platz mehr.59 Der souveräne Staat bedarf staatstheoretisch der Anerkennung seines Tuns durch den Einzelnen nicht mehr; in gut naturrecht- licher Argumentation lässt sich diese Anerkennung mit der Begründung des Herrschaftsvertrages in grauer Vorzeit belegen.60 4. Aus der Staatssouveränität entwickelt sich bei Rousseau der Gedanke der Volkssouveränität, wie er seit der französischen Revolution alle geschrie- benen Verfassungen demokratischer Staaten ziert. Nun ist dieser Gedanke, so geläufig und alltäglich er für uns geworden ist, an sich etwas Ungeheuerli- ches. Rousseau hat in einem einmaligen Kunstgriff den Gegensatz von Herren und Beherrschten in die Brust eines jeden einzelnen projiziert und damit Herrschaft verinnerlicht.61 Jeder ist immer zugleich Souverän und Untertan, weil er zwar als Citoyen an der politischen Willensbildung teilhat, sich gleich- zeitig aber immer auch den Gesetzen unterwirft. Wo sich aber Herr und Beherrschte nicht mehr in je verschiedenen Personen gegenüberstehen, ist auch kein Platz mehr für eine Huldigung. Das Fürstentum Liechtenstein bildet mit seinem Festhalten an der Erbhuldigung des Parlaments sowie mit der Durchführung von allgemeinen Hul- digungsfeiern für die Gesamtbevölkerung, denen zwar keine Rechtskraft mehr, dafür aber erhebliche symbolische Ausstrahlung zukommt, eine Ausnah- me.62 Die Staatsform der Monarchie, die Veranke- rung der Staatsgewalt in einem monarchischen und einem demokratischen Prinzip sowie die Über- 298
	        

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