Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1991) (90)

Ob und inwieweit sich die Landesherrschaft an ihre bei der Muldigung abgegebene Zusage hielt, spielte bei der Beurteilung der landesherrlichen Politik durch die Untertanen eine entscheidende Rolle. Die kritische Bilanzierung der Herrschaftspraxis erfolg- te an diesem Massstab und gab den Untertanen ein gewichtiges Argument sowie eine allgemein akzep- tierte Legitimation an die Hand, wenn es galt, die Herrschaft an ihre Pflicht zu erinnern. Eine Verwei- gerung des Eides dokumentierte öffentlich die Brü- chigkeit des Herrschaftsverhältnisses und den Ver- lust der Legitimität von Herrschaft in den Augen der davon Betroffenen. Diese Konfliktstruktur lässt sich auch mit Vorfällen aus der Liechtensteiner Landesgeschichte belegen. Die Schellenberger und Vaduzer Untertanen kriti- sierten 1662 in einer Beschwerdeschrift die Politik ihres Landesherrn: sie warfen ihm vor, er vergüte ihnen ihre Frondienste nicht nach Herkommen und verlange von ihnen gar neue Dienste; sie verwahr- ten sich zudem gegen seine Versuche, ihnen auch die Reichs- und Kreissteuern aufzubürden, obwohl diese nach Ausweis eines Vertrags von 1614 ein- deutig Sache des Landsherrn waren; sodann de- nunzierten sie die überzogene Härte des Burgvogts; sie beschlossen und begründeten ihre Beschwerden mit dem Argument, «es sei dem Grafen wohl be- kannt, wie sie Alles, was sie bei der Huldigung ge- lobt, getreulich gehalten hätten, und sie würden ihrerseits es auch ferner thun. Dagegen erwarten sie auch, dass der Graf sie bei dem alten Herkom- men, ihren Briefen und Freiheiten handhabe und schütze, auch alles in den alten Stand setze».41 Der argumentative Rekurs der Untertanen auf die Pflichten der Herrschaft findet sich wieder in Quel- len des frühen 18. Jahrhunderts. Auch die Herr- schaft der Liechtensteiner setzte sich in den ersten Jahren bei den Untertanen nicht gerade vorteilhaft in Szene. Kaum ein Jahr war seit der Huldigung von 1718 ins Land gegangen, als die fürstliche Regie- rung den Novalzehnten, eine herkömmlicherweise der Kirche zustehende Abgabe, zum herrschaftli- chen Eigentum erklärte und damit den heftigen Wi- derstand des Klerus provozierte; dieser fand im Churer Bischof Rückhalt, der den fürstlichen Ver-walter 
in den Bann tat und die Vaduzer Kapellen mit dem Interdikt belegte. Mit den Gemeinden ge- riet die neue Regierung schon 1718 wegen der um- strittenen Rückgabe früherer Herrschaftsgüter in Konflikt42; zudem griff sie in die traditionelle Ver- waltungsstruktur des Landes ein.43 Erneut musste eine kaiserliche Kommission vermitteln, vor wel- cher die Landschaftsvertreter aussagten, der fürst- liche Kommissär Harpprecht sei die Wurzel allen Übels; obwohl er bei seiner Ankunft im Land und zuvor bereits bei der Huldigung versprochen habe, altes Herkommen, Privilegien, Rechte und Freihei- ten zu achten und keine Neuerungen einzuführen, so schalte er nun im Lande nach eigener Willkür.44 Die Landschaft erklärte sich zur Leistung dessen, was sie bei der Huldigung versprochen hatte, be- reit, erwartete aber dafür, dass auch die Herrschaft das ihr bei der Huldigung Versprochene einhalte.45 Die Belege mögen genügen, um den überragenden Stellenwert der oben angesprochenen Vertragsvor- stellung im politischen und rechtlichen Denken der Untertanen zu dokumentieren. Handelte es sich dabei auch nicht um einen freien, beide Parteien gleichwertig verpflichtenden Vertrag, der von den Untertanen jederzeit hätte gekündigt werden kön- nen, so fassten die Untertanen ihre Unterordnung unter die Herrschaft doch in entscheidendem Masse als Gegenstück zu den Pflichten des Herrn auf.46 Die Verpflichtung war in der Sprache der politischen Theorie des Ständestaates eine «mutua obligatio». Die zentrale Forderung der Untertanen, die Herrschaft habe in ihrem Regierungshandeln das alte Recht zu wahren, widerspiegelt ein in sei- nem Ursprung mittelalterliches Rechtsverständ- nis'1 ': das Recht stand demzufolge nicht zur einseiti- gen Disposition der Herrschaft; es war ein traditio- nell durch Herkommen gebundenes Recht, dessen Normen zuvorderst die Familien- und Eigentums- verhältnisse, das Erbrecht, das Eherecht sowie das Strafrecht regelten sowie den Gemeinden und Kor- porationen ihre Selbstverwaltungsbefugnisse ein- räumte. In dieser Eigenschaft betraf dieses Nor- mengefüge alle Landesbewohner direkt und exi- stentiell in sozialer, wirtschaftlicher und politischer 294
	        

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