Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1991) (90)

DIE VERFASSUNG IM VORKONSTITUTIONELLEN ZEITALTER / ANDRE HOLENSTEIN werden muss, so kleidet die Herrschaft ihre Auffor- derung dennoch in eine Anfrage, welche die Unter- tanen mit einer Erklärung beantworten. Damit soll grundsätzlich die Zwangslosigkeit des Vorgangs dokumentiert werden, die Untertanen schwören, ohne dazu gezwungen worden zu sein. Die Herr- schaft legt als erste ihre Forderung vor, aber nicht ohne gleichzeitig auch eine Zusage abzugeben, das Herkommen und die alten Rechte des Landes und der Gemeinden garantieren und wahren zu wollen. Dieses zentrale Merkmal der Huldigung soll weiter unten noch ausführlicher zur Sprache kommen. 7. Mit der Verlesung der Huldigungsformel rief die Herrschaft die Grundlagen des Herrschaftsvertrags den davon unmittelbar betroffenen Untertanen in Erinnerung. Diese beschworen somit nicht einen Freipass für herrschaftliches Handeln, sondern rechtlich durch Herkommen und Vertrag präzis de- finierte Leistungspflichten, die es im Hinblick auf das Liechtensteiner Beispiel im folgenden genauer zu untersuchen gilt28: Die Formel nannte zuerst den Adressaten, den Nutzniesser des Eides, in diesem Fall den Landes- fürsten und Regierer des Hauses Liechtenstein Anton Florian. Der Begriff «Regierer» bezeichnete die Führungsposition Anton Florians innerhalb der in verschiedene Linien aufgeteilten fürstlichen Fa- milie. Anschliessend wurden die wichtigsten Ver- haltensanforderungen und Leistungserwartungen an die Adresse der Untertanen aufgezählt, von deren Befolgung Sein oder Nichtsein der fürstlichen Herrschaft abhingen, denn ohne treue, gehorsame, gewärtige Untertanen, die bereit waren, den Gebo- ten der Herrschaft zu gehorchen und ihr Steuern und Frondienste zu leisten29, konnte es keine Herr- schaft über das Land geben. Die für sämtliche Hul- 23) Zur Te.xtgattung der Huldigungspredigten s. Georg ßraungarl, Hofberedsamkeit. Studien zur Praxis höfisch-politischer liede im deut- schen Territorialabsolutismus, Tübingen 1988, S. 100-112. 24) Vgl. die begriffsgeschichtliche Herleitung im weit ausholenden Artikel «Herrschaft» in: 0. Brunner. W. Conze, R. Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-so- zialen Sprache in Deutschland, Bd. 3, Stuttgart 19S2, S. 1-102. 
25) Holenstein. Huldigung, S. 493 ff. In früheren Zeiten drückte sich die Personalität von Herrschaft gerade bei der Huldigung darin aus. dass der neue Herrscher persönlich auf einem Umritt den Eid der Untertanen entgegennahm; vgl. dazu ebd., S. 141 f., S. 435-448. 26) Vgl. dazu den Abschnitt «Verfassungsgeschichte als Auflösung der Identität des Sinnenhaften mit dem Sinnhaften» in: Dietrich Hilger, Artikel «Herrschaft», in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 3, S. 86 ff. Diese Formulierung zielt auf eine zentrale verfassungsgeschichtliche Beobachtung Otto von Clerkes ab. 27) Vgl. dazu die Bemerkungen im bahnbrechenden Werk von Otto Brunner. Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfas- sungsgeschichte Österreichs im Mittelalter, (5. Aufl.), Wien 1965, S. 259 ff 28) Zum Vergleich seien an dieser Stelle weitere Liechtensteiner Ei- desformeln angeführt. Kaiser, Liechtenstein, S. 397 f., zählt eine Reihe von Verpflichtungen auf. die alle Gemeinden und Insassen der Herr- schaft gegenüber eingehen mussten. Dom Inhalt und dem sprach- lichen Duktus der Quelle nach muss es sich um den Wortlaut eines Huldigungseides an die Grafen von Sulz handeln, auch wenn Kaiser seine Vorlage nicht ausdrücklich als Huldigungsformel anspricht: «Keinen andern Herrn zu suchen und anzunehmen, als die Grafen von Sulz, deren Erben und Nachkommen, ihren Geboten und Verboten gehorsam zu sein, auch in kein auswärtiges Bürger- oder Landrecht zu treten. Keine andere Gerichte anzurufen, weder geistliche noch weltliche, nicht Vehm-, Land- oder Hofgericht, sondern bei den inlän- dischen Gerichten sich zu begnügen. Die im Urbar von 1531 verzeich- neten Zinse und Dienste zu leisten, doch mit dem. dass sie gegen den Willen der Insassen nicht erhöht oder gesteigert werden dürften. Die festgesezte Landsteuer zu bezahlen . . .» Vgl. zudem den Wortlaut des Huldigungseides an den ersten Hohenemser Landesherrn vom 15. April 1613 (Liechtensteinisches Landesarchiv Vaduz. RA 1/3/5): «Ihr sollen vnnd wollen samendt- vnnd sonndorlich geloben vnnd schwö- ren, für euch vnnd ewere nachkhomben, der burger alls ain burger, der aigen mann alls ain aigner, vnnd der hindersässe alls ein hinder- säss, einen leiblichen aydt zue Gott vnnd den heilligen, Dem Hochwol- gebornen Herrn, Herrn Casparn Grauen zue der Hochenembs vnnd Gallerata, Römisch Kayserlicher Mayestät vnnd Fürstlicher Durch- laucht zue Österreych Rath, Vogt der herschafften Sonnenberg, vnnd Newenburg, Vnnsrem Gnedigen Herren in Ihren Gnaden leben, vnd nach dero Absterben dero geliebten Herren Söhnen vnd Erben vnnd sonst niemandts annderen als Ewern rechten nattürlichen Erbherren gelhrew, holdt, gehorsamb, vnnd gewerttig zuesein, Ihren frommen, nutz, ehr vnd wolfärth zuefürdern. schaden vnd nachtheil zue wahr- nen vnd zuewennden nach ewerem bössten vermögen, Auch khein anndern herren, schütz vnnd schürm wider sie anzuenemmen, deren gebotton vnnd verbotten zue allen zeytten gehorsamb vnd gewerttig zuesein, vnnd sonst gemeinlich alles annders zuehallten, zuethun vnnd zuelassen, das ein gethrewer burger vnnd vnnderthon seinem nattürlichen Erbherren vnnd Obrigkheit von rechts vnnd billicheit wegen zuethun schuldig vnnd pflichtig ist, alles gethrewlich, erbar vnnd vngeuarlich.» 29) Der Vergleich mit den früheren Eiden zeigt, dass die ausdrückliche Erwähnung der Steuer- und Fronpflicht erst nach 1613 in den Eid aufgenommen wurde - wahrscheinlich eine Folge der Auseinander- setzungen zwischen Untertanen und Landesherrschaft, die sich im 17. Jahrhundert wiederholt um diese beiden Bereiche gedreht hatten (Kaiser, Liechtenstein, S. 404 ff, 441 f.. 443-455). Zur älteren Steuer- verfässung knapp Stievermann, Geschichte, S. III. 291
	        

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