Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1991) (90)

seine Verbindlichkeit und seinen Zwangscharakter über die Untertanen allein aus der allgemein herr- schenden Vorstellung, Gott bestrafe den falschen Eid, den Meineid, mit dem Entzug des Seelenheils. In jenen Bereichen, wo die vormoderne Herrschaft auch mit äusserlichen Zwangsmitteln keinen Ein- fluss auf das Handeln und Denken der Menschen ausüben konnte, nutzte sie die starke verhaltensre- gulierende Kraft, die der Eid angesichts einer noch allgemein verbreiteten Gottesfurcht über das Ge- wissen der Menschen auszuüben vermochte. Die Rolle der Kirche beschränkte sich aber nicht darauf, den Untertanen den Zusammenhang zwi- schen Eid und Seelenheil in Erinnerung zu rufen. Die Pfarrer waren am Huldigungstag angehalten, den Untertanen eine zum Anlass passende Predigt zu halten, die den göttlichen Auftrag und die göttli- che Einsetzung aller weltlichen Obrigkeit aus der Schrift erläutern und begründen sollte.23 4. Jene Zeremonien, die sich im Schloss im kleine- ren Kreis unter den Vertretern des Fürsten und den Honoratioren des Landes abgespielt hatten - die Übergabe der Archivschlüssel an den neuen Ver- walter, die Bestätigung der Amtsleute sowie die Überreichung der neuen Landesfahnen an die Offi- ziere - führen in ihrem Ensemble ein wesentliches Merkmal vormoderner Herrschaft vor Augen: Diese blieb, wie bereits der Begriff anzeigt, immer in ent- scheidender Weise an Herren gebunden, deren Per- son im wahrsten Sinn des Wortes Obrigkeit und Staat verkörperte.24 Im 18. Jahrhundert hat sich gerade in den kleinen Territorien noch keine trans- personale Staatskonzeption nach unserem heutigen Verständnis durchgesetzt. Stirbt der Landesherr, so endet auch die Herrschaft und muss durch einen förmlichen Akt des Erben neu angetreten und be- gründet werden. Beim Tod oder Rücktritt eines Landesherrn erlöschen immer auch die früheren Dienst- und Loyalitätsverhältnisse der Beamten und Diener, auch sie müssen im Rahmen des Herr- schaftsantritts des neuen Landesherren förmlich neu begründet werden. Der Huldigungsakt von 1718 verweist aber in einem entscheidenden Punkt auf die abnehmende 
Verbindlichkeit dieser personalen Herrschaftskon- zeption im 18. Jahrhundert25: Die Hauptperson - der neue Landesfürst - war nicht mehr persönlich anwesend, er liess sich durch einen bevollmächtig- ten Gesandten vertreten und wurde in Vaduz den Untertanen nur als Bild, als Porträt, vorgestellt. Die- ses Phänomen ist im Verlauf des 18. Jahrhunderts in zunehmendem Mass zu beobachten; bisweilen wurde der neue Landesherr gar nur durch einen leeren Thronsessel auf der Tribüne vertreten; hier war Herrschaft nur noch in der Vorstellung, im Bewusstsein der Untertanen präsent; es etablierte sich nach und nach die noch heute allgemein gülti- ge Vorstellung, die den Staat als abstrakte, den menschlichen Sinnen nicht mehr unmittelbar zu- gängliche Anstalt konzipiert.26 5. Die Zusammenkunft im Schloss zeigt aber auch noch etwas anderes: der Landesherr stand nicht einer amorphen Masse von Untertanen gegenüber, sondern einem Land, mithin einem Verband mit eigenständigen politisch-rechtlichen Strukturen, mit Gerichten und Gemeinden, denen jeweils eige- ne Amtsleute vorstanden. Bei diesen Landammän- nern und Gerichtsleuten aber handelte es sich aus- schliesslich um einheimische, im Land politisch be- rechtigte Untertanen. Die Verwaltung des Landes stützte sich nur auf der höchsten Ebene, beim Landvogt, dem Verwalter und Landschreiber, auf landesfremde Beamte, die der Fürst allein direkt einsetzte, während die übrigen Ämter von Einge- sessenen aus den Herrschaften Vaduz und Schel- lenberg bekleidet wurden. Es begegneten sich im Schloss gleichsam zwei Parteien - Land und Herr- schaft -, wobei die Landammänner, Gerichtsleute und Offiziere als besonders legitimierte Vertretung des Landes und der gesamten Untertanenschaft in Erscheinung traten. 6. In der Tat hat denn auch die Huldigung etwas von einem Vertrag an sich; ganz deutlich lässt das Zeremoniell die Interaktion zweier Parteien erken- nen.27 Es wechseln Rede und Gegenrede ab. Auch wenn die Huldigung grundsätzlich eine Pflicht dar- stellt und als solche von den Untertanen geleistet 290
	        

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