Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1991) (90)

DIE VERFASSUNG IM VORKONSTITUTIONELLEN ZEITALTER / ANDRE HOLENSTEIN 1. Zu beachten ist zuerst der Anlass der Huldigung. In der Vorstellung der altständischen Gesellschaft liess sich der Regierungsantritt eines neuen Lan- desherrn offenbar nicht ohne die förmliche Ver- pflichtung der davon betroffenen Untertanen den- ken.18 Verschiedenen Äusserungen aus dem 18. Jahrhundert lässt sich entnehmen, dass bei den Untertanen noch die Überzeugung vorherrschte, der neue Herr bedürfe des Schwurs und damit auch der formellen Anerkennung durch die Untertanen, um rechtmässig Herrschaft ausüben zu können.19 Das hiess aber auch, dass sie sich erst nach einge- holter Huldigung zur Leistung ihrer Pflichten bereit erklärten. Dass erst eine formelle Eidesleistung das Herrschaftsverhältnis begründete, zeigte sich noch deutlicher als beim Regierungsantritt in jenen Si- tuationen, wo die Herrschaft nach einer Revolte ihrer Untertanen auf einer neuen Huldigung be- stand, um damit öffentlich die Rückkehr zur poli- tisch-rechtlichen Normalität wieder herstellen und anzeigen zu können.20 2. Huldigungspflichtig waren im Alten Reich in der Regel die erwachsenen Männer.21 Dass Volljährig- keit, Rechtsfähigkeit und Wehrfähigkeit untrennbar zusammengehörten, bewies der Aufzug der Unter- tanen in ihren Waffen. Mit der Huldigung verpflich- tet wurden somit jene, die einen Eid schwören durf- ten, damit für ihr Tun und Lassen, wenn es sein musste, auch gerichtlich zur Rechenschaft gezogen werden konnten und mit ihrer Person bzw. ihrem Haus der Herrschaft gegenüber zu positiven Lei- stungen verpflichtet waren. 3. Predigt und Hochamt, die für die Untertanen den Huldigungstag in Vaduz eröffnet hatten, sind ein deutliches Indiz für die wichtige Rolle der Kirche bei der Durchführung einer Huldigung und bei der Begründung vormoderner Herrschaft überhaupt. Da der Eid eine feierliche Anrufung Gottes darstellt, die den Allerhöchsten zum Zeugen der aufrichtigen Gesinnung des Schwörenden bzw. zum Garanten der Wahrhaftigkeit einer Aussage einsetzt, ergibt sich die sachliche Zuständigkeit der Kirche bei Schwurveranstaltungen von selbst.22 Der Eid bezog 
11) Hopp war als Wortführer der Untertanen besonders prädestiniert, hatte er doch bereits als Landammann der oberen Herrschaft die Konflikte mit den letzten Hohenemser Grafen erlebt. Hopp war bereits bei der Huldigung der Grafschaft Vaduz 1712 als Sprecher der Unter- tanen aufgetreten (vgl. Schaedler, Huldigung, S. 16, 23). Zur damali- gen Verbreitung der verschiedenen Familiennamen in den Gemein- den des Fürstentums vgl. die Zusammenstellung bei Schaedler, Huldi- gung, S. 29 f. 12) Zum Komplex der sog. «Brandisischen Freiheiten» aus dem 15. Jh. vgl. Dieler Stievermann, Geschichte der Herrschaften Vaduz und Schellenbcrg zwischen Mittelalter und Neuzeit, in: Press, VVillowcit (Hrsg.), Liechtenstein, S. 87-128. hier S. 119-122. 13) Zu den Einzelheiten der Erbordnung und den Verbesserungen des Urbars vgl. Kaiser, Liechtenstein, S. 360 ff. 14) Zur Vorgeschichte und den genauen Bestimmungen des Spruchs, der zur Unterstellung der beiden Herrschaften unter kaiserliche Ver- waltung führte, vgl. ausführlicher Kaiser, Liechtenstein, S. 448-455. Das Willkürregiment der Hohenemser streift nur knapp Ti/man M. Schröder, Die Grafen von Hohenems im 16. und 17. Jahrhundert, in: Press, Willoweit (Hgg.), Liechtenstein, S. 163-187. hier S. 185 f. 15) Kaiser. Liechtenstein, S. 467. 16) Vgl. die fünf ausführlicher behandelten Fallbeispiele bei Holen- stein, Huldigung. 17) Die Besucher der Huldigungsfeier 1990 werden denn auch nicht zufällig im Bericht von 1718 Sequenzen der jüngsten Huldigungsfeior wiedererkennen. 18) Eine neue Huldigung infolge eines Herrschaftswechsels war fällig beim Antritt der Landesherrschaft durch den neuen Landesherrn in den Stammgebieten nach dem Tod oder Rücktritt des früheren Lan- desherrn, bei der Übernahme der Herrschaft nach dem uneinge- schränkten oder pfandsweisen Erwerb oder nach der kriegerischen Eroberung eines Territoriums, nach der Übertragung eines Gebietes als Wittumsgut an die Gemahlin des Landesherrn oder einer ander- weitigen Nutzungsänderung herrschaftlicher Güter (Apanage, Leibge- ding). In städtischen Territorien wurde die neue Huldigung regelmä- ssig an den Amtsantritt des neuen Landvogts oder Amtmanns ge- knüpft. Mit einer Eventualhuldigung sicherten Anwärter ihren An- spruch auf ein bestimmtes Gebiet ab, das ihnen vertraglich für den Fall des Aussterbens der regierenden Dynastie eingeräumt worden war. 19) Holenslein, Huldigung, S. 70t, 481. 20) Belege dazu bei Holenstein, Huldigung, S. 409 ff. 21) Dabei ging die Entwicklung seit dem Mittelalter in die Richtung, dass nach und neben den Hausvätern auch deren erwachsene Söhne sowie die Knechte und Dienstleute zur Huldigung beigezogen wurden. Frauen huldigten allein, wenn sie als Witwen, die sich nicht wieder verheirateten, den verstorbenen Mann als Haushaltsvorsteherinnen vertraten. 22) Zur Entwicklung der kirchlichen Eidcslehre in der Spätantike und im Mittelalter vgl. Holenstein. Huldigung, S. 55-58; jüngst ausführlich Kolmer. Promissorische Eide, S. 47-54, 276 ff., 314 ff. 289 t]
	        

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