Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1991) (89)

Nicht der Staat war hier der zentrale Denk-Ort, sondern der einzelne Bürger, die in der Entfaltung ihrer Talente, in der Bewegung ihres Geistes, in der Bewahrung ihrer materiellen Interessen ungehin- derte Individualität».219 Um die Forderungen des so verstandenen Liberalis- mus zu erfüllen, war aber die Abkehr vom rein monarchischen System und die Zuwendung zu einem konstitutionell verfassten Gemeinwesen not- wendig. Den gleichen Idealen, jedoch mit gewissen Akzent- verschiebungen, war auch Peter Kaiser zugetan. Wann sich die beiden Männer - Peter Kaiser und Karl Schädler - zum erstenmal begegneten, ist nicht bekannt. Denkbar wäre frühestens die Zeit um 1836/37, als Kaiser schon in Disentis als Rektor wirkte und Schädler noch in Ems praktizierte, sie also nicht weit voneinander entfernt wohnten. Es gibt aber keine Hinweise dafür. Jedoch weiss man, dass Kaiser ab dieser Zeit häufig im Lande weilte, und auf der Suche nach Quellen für die Erarbeitung seiner «Geschichte des Fürstenthums Liechten- stein» dabei die einzelnen Archive durchkämmte. Im Jahr 1840 war Peter Kaiser schon so bekannt in seiner Heimat, dass er als Sprecher des Volkes eine Delegation leitete, welche dem Fürsten in Wien die Wünsche und Bitten der Gemeinden vortragen sollte. Der Delegation gehörten auch noch Jos. Ferdinand Wolfinger220 und Jos. Anton Rheinber- ger221 an. Von Karl Schädler ist zwar in diesem Zusammenhang noch nirgends die Rede, doch dürften Kaiser und er sich zu dieser Zeit bereits gekannt haben. Karl Schädlers erstes bekanntes öffentliches Enga- gement fällt in das Jahr 1846, das Jahr des ver- heerenden Rheineinbruches oberhalb von Vaduz, wobei die ganze Talebene von Vaduz bis nach Mauren sechs Wochen unter Wasser stand. Zur Linderung der grossen Not wurde in Vaduz unter dem Vorsitz von Dr. Karl Schädler ein Hilfsverein222 gegründet, der Hilfsgesuche an die Behörden und an Private des benachbarten Auslandes richtete. Der Erfolg dieser Aktion war unerwartet gross und der Hilfsverein koordinierte die Verwendung der zahlreichen Spenden, die sich auf gegen 10000 fl 
beliefen.223 Auch bei anderer Gelegenheit zeigte sich seine soziale Einstellung, was sich an einem kleinen Beispiel dartut: Im September 1849 hatte ein Grossbrand in Schaan Dutzende von Gebäuden eingeäschert; dabei wurden etliche Bewohner z.T. schwer verletzt. Im schon erwähnten Praxisjournal lesen wir nach der monatelangen Behandlung einer Frau: «Die Kosten für die Behandlung der durch die Feuersbrunst verunglückten Frau werden der Fa- milie in Berücksichtigung dieses Unglücks hiermit erlassen . . . »224 Ins Rampenlicht der öffentlichen Politik trat Karl Schädler aber erst im Jahre 1848, dem Jahr der Revolution, die so manches in ganz Europa in Bewegung bringen sollte. Ausgehend von der Pari- ser Februarrevolution breitete sich die Erhebung über das ganze Gebiet des Deutschen Bundes aus. In Wien und Berlin kam es im März sogar zu Bürgerkrieg und Barrikadenkämpfen, Metternich als Vater und Exponent des verhassten Polizeire- gimes musste aus Wien fliehen; überall mussten der aufgebrachten Menge Konzessionen gemacht wer- den.225 In Liechtenstein blieb es bis gegen den 20. März ruhig. Dann aber sprang der Funke von Feldkirch aus über, es wurden die gleichen Forde- rungen laut wie im übrigen Deutschland.226 In den Gemeinden wurden Ausschüsse gewählt, welche diese Forderungen gegenüber der Obrigkeit vertre- ten sollten. Landvogt Menzinger sah in der Bestel- lung der Ausschüsse sofort eine Möglichkeit zur Einflussnahme und förderte deren Wahl. Die füh- renden Köpfe im Land hatten, wie es scheint, gute Vorarbeit geleistet. Peter Kaiser folgte dem Ruf aus dem Volke sofort und übernahm die Führung der Revolutionsbewegung. Er stellte aber die ausdrück- liche Bedingung der Einhaltung von Disziplin und Ordnung.227 Schon am 22. März versammelten sich die eben gewählten Ausschüsse in Schaan und bestellten einen dreiköpfigen Landesausschuss, be- stehend aus Peter Kaiser als Präsident und den beiden Ärzten Dr. Karl Schädler und Dr. Jos. Lud- wig Grass.228 In zwei Petitionen an den Fürsten, von Peter Kaiser entworfen, wurden die Wünsche und Forderungen der Ausschüsse formuliert. Im Vordergrund stand 54
	        

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