Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1991) (89)

Reden ihren Widerwillen austrückten».108 Aber auch in den Gemeinden Balzers, Triesen und Trie- senberg gab es bei diesem zweiten Termin, bei dem die im Mai nicht erschienenen und die ohne Erfolg geimpften Kinder nachgeimpft werden sollten, An- stände. Hier Stessen wir auf den Namen Franz Josef Schlegel von Triesenberg Nr. 5, der erklärt habe, «dass sie lieber den Kopf verlieren, als ihre Kinder impfen lassen wollen.»109 Schuppler versuchte zu- nächst, die Eltern mit Vernunftgründen zu überzeu- gen. Dann brachte er die elterliche Pflicht und mo- ralische Gründe ins Spiel: «wie sehr diese unbeug- samen, lieblosen Väter sich gegen die Pflichten, die sie gegen ihre Kinder, gegen ihre Obrigkeit und gegen ihre Nächsten zu beobachten haben, versün- digen, bedarf keines Beweises, wenn man erwägt, dass sie schuldig sind, alle ihnen zu Gebote stehen- den Mittel anzuwenden, wodurch sie ein ihren Kin- dern drohendes Unglück abwenden können».110 Und schliesslich kommt Schuppler mit ganz massi- ven Drohungen, deren Durchführbarkeit man aller- dings in Zweifel ziehen darf. Den Säumigen, die nicht zur Impfung und zum festgesetzten Kontroll- termin erscheinen sollten, droht er: «... als sie sonst aller Vortheile, die sie als Gemeindsglieder geniessen, für verlustig erklärt werden, daher ihnen für den Fall ihres Ungehorsams weder Hol- zungs- noch Atzungs-, weder Alp- noch Streuerech- te sollen gehören, ja ihnen für ihre Lebtag der Ge- nuss ihrer Gemeindegründe . . . entzogen werden soll».111 Das waren nun Androhungen, die, wären sie wahrgemacht worden, die Grundlagen der Exi- stenz eines Bauern bedroht hätten. Das Schreiben Schupplers scheint denn auch seinen Zweck nicht verfehlt zu haben, denn in Zukunft gibt es keine Anzeigen von Widersetzlichkeiten mehr. Der Land- schaftsarzt konnte jetzt seiner Aufgabe ungehindert nachgehen, die Impfung wurde jährlich in jeder Ge- meinde durchgeführt. Praktisch ging dies in drei Etappen vor sich. Zunächst wurde die «Vorimp- fung» bei einigen Kindern vorgenommen. Eine Woche danach fand die Hauptimpfung statt, wobei aus den Impfblasen der Vorgeimpften die Pocken- lymphe entnommen und den anderen Impflingen eingeimpft wurde. Wieder eine Woche später kon-trollierte 
der Impfarzt den Erfolg der Impfung. War bei der Kontrolle keine Impfreaktion zu sehen, so wurde das betreffende Kind zum gleichen Zeitpunkt nachgeimpft. Die Frage der Pockenschutzimpfung wurde allerdings im Jahre 1825 nochmals aktuell, als wieder Fälle von Pockenerkrankungen im Lande auftraten - vor allem in Ruggell und Gamprin112 - «durch Ansteckung von Bettlern und herumvagie- rendem Gesindel», wie Schuppler meint. Und wiederum ergeht ein Rundschreiben113 an die «hochwürdige Geistlichkeit im souverainen Für- stenthum Liechtenstein», das den Pfarrherren auf- trägt, «mit allen Ihnen zu Gebote stehenden Über- zeugungsgaben die Pfarrangehörigen von dem Nut- zen der Impfung zu überzeugen . . .». Erstmals werden aber in diesem Rundschreiben auch ernsthafte, ja tödlich verlaufene Blatternfälle Geimpfter offen zugestanden. «Allein Gleichwohl wird hie und da über das Unnötige und Unverlässli- che der Impfung deswegen raisonirt, weil mehrere Geimpfte Individuen mit den natürlichen Blattern befallen worden sind, und weil zum grössten Miss- geschicke Einige unserer Landesbewohner von die- sem Uibel befallen .. ., vom Tode ereilt wurden.»114 Es geht aus dieser Formulierung nicht klar hervor, ob diese Todesfälle unmittelbar nach der Impfung, oder erst Monate oder Jahre danach eintraten. Im ersteren Fall hätte es sich wohl um eine sogenannte Vaccinia, das ist das Auftreten des Pockenausschla- ges am ganzen Körper nach der Impfung gehandelt und wäre damit als «Impfzwischenfall» anzusehen. Im zweiten Fall wäre die Ansteckung mit Pocken aufgrund fehlender oder ungenügender Immunität - trotz Impfung - erfolgt. Letzteres wirft die Frage nach der Qualität des Impfstoffes auf. Die Lymphe wurde oft von weit her bezogen und vom Impfarzt selbst besorgt. Da es sich um einen Impfstoff von Viren handelt, ist er gegen äussere Einflüsse, wie Kälte oder Hitze sehr empfindlich, so dass seine Wirksamkeit unter den damaligen Umständen der Konservierung grossen Schwankungen unterworfen war und nicht immer die gewünschte volle Immuni- sierung erreicht werden konnte. Offenbar gab es im Jahre 1825, also 13 Jahre nach Einführung des Impfobligatoriums immer noch 38
	        

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