Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1991) (89)

sung. In den gross angelegten Gesichtszügen konnte unerwartet eine ganz fremde Vergangenheit auf- leuchten und wie abberufen wieder verschwinden. Ich erinnere mich, wie ich plötzlich meinte, ich sähe ein nordafrikanisches Gesicht im Antlitz des Für- sten. Misstrauisch gegenüber meinen eigenen Wahrnehmungen fragte ich den Fürsten, wie es denn dazu käme, dass er dem ägyptischen Präsi- denten Sadat ähnle. Ich kleidete die Beobachtung in eine Frage, weil ich nicht sagen wollte: Durchlaucht, Sie haben ein nordafrikanisches Aussehen. Der Fürst lächelte anfänglich erstaunt und sagte dann nach kurzem Nachdenken, dass über Einheirat einer spanisch-maurischen Prinzessin tatsächlich nordafrikanisches Blut in seine Familie gekommen sei. Eine vergleichbare Situation wiederholte sich bei einer späteren Porträtsitzung, als ich während der Arbeit aus dem formalen Gefüge des Kopfes asiatische Züge im Schädelbau integriert sah. Dar- auf angesprochen, meinte der Fürst, dass in seinem Stammbaum eine ukrainische Prinzessin nachzu- weisen sei. Der Fürst wusste über die Geschichte seines Hauses eingehend Bescheid. Einheirat und Verwandtschaft wirkten in ihm wie eine biologische, kontinentale Verbindung. Die familiären Beziehungen über- schritten die nationalen Grenzen. So waren seine Gedankengänge immer von grosszügigem Duktus. Und trotzdem war er nicht der geborene Herrscher. Er überzeugte durch Güte, Menschlichkeit und Rechtschaffenheit. Der barsche Befehl stand ihm nicht. Er nahm die Menschen für sich ein und überzeugte so. Der Fürst hatte mehr Ansichten als definierte Doktrin, mehr Ahnung als Erkenntnis, mehr Intuition als zergliederte Kenntnisse. Seine Feinfühligkeit und menschliche Wärme konnten im Gespräch, wie von Einbrüchen erschüttert, in Kälte und kühle Rechnung umschlagen. Er konnte über geschichtliche Vorgänge in rein rechnerischem Ab- wägen von Toten, Verlusten und Gewinn sprechen. Welche Opfer erfordert dieser Sieg? Überlegungen eines Strategen, meinte ich manchmal herauszuhö- ren aus seinen Gesprächen, sozusagen ein Nachhall von Beratungen aus alten Machtzentren Europas. Leben und Tod als Warengeschäfte behandeln. 
Die Fähigkeit, in grossen Zusammenhängen zu denken, vermochte seinen politischen Betrachtun- gen und Prognosen bisweilen einen visionären Zug verleihen. Ich erinnere mich, wie der Fürst im Winter 1980 während einer Porträtsitzung die Zukunft der Sowjetunion analysierte. Er stellte damals eine erstaunliche Prognose mit einer Si- cherheit, als ob alles schon passiert wäre: «Die Sowjetunion wird über kurz oder lang auseinander- brechen. Die Nationalitätenfrage des riesigen Rei- ches wird die Teilgebiete aus der Union herausbre- chen. Dazu kommen noch die wirtschaftlichen Probleme. Es ist alles nur eine Frage der Zeit.» Soweit damals der Fürst. Als er im Sterben lag, setzte die vorausgesagte Entwicklung ein. Der Fürst bewahrte im Umgang mit Menschen jene Zurückhaltung, die wahre Anteilnahme und Nähe erlaubte. «Durchlaucht» schuf einen persönlichen Perimeter, welcher Entfernung und Annäherung angab, so dass Parteilichkeit im Dienste des Staates gar nicht denkbar war. Eine Vereinnahmung durch Gruppen war ausgeschlossen. Die Integration ver- schiedendster Standpunkte war dergestalt in sei- nem Fürstendienst gewährleistet und glaubhaft spürbar. Dazu kam ein weiteres: Die Selbstlosigkeit im Dienste der Allgemeinheit war eine sehr aus- zeichnende Eigenschaft des Fürsten während sei- ner langen Regierungszeit; dieser Charakterzug konnte beinahe asketische Züge annehmen. Schon aus geringer Distanz zu seinen letzten Le- bensjahren erscheint der Fürst in einem Gegenlicht. Die Silhouette seiner grossen Gestalt, den Kopf aus eingesenkten Schultern zum Gesprächspartner ge- wandt und bei jedem Satzende nickend, als ob er sich selbst zustimmen wollte. Dann hielt er gern inne, fixierte mit fragendem Blick sein Gegenüber und wartete auf eine Reaktion. Das Gespräch war immer Anteilnahme. Er teilte Meinungen - oder auch nicht. Er teilte mit, monologisierte nicht, nahm seinen Part bisweilen unter merkwürdigem Mur- meln zurück. War er im Gespräch engagiert, konnte er seine Worte mit Gesten unterstreichen. Meistens verabschiedete er sich kurz entschlossen von sei- nem Gesprächspartner und ging mit weit ausho- lenden Schritten weg, wie wenn er fliehen wollte. 16
	        

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