Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1991) (89)

Publikationen ein, so auch in der «Geschichte des Fürstenthums Liechtenstein». Hier übernahm er sie aber nicht, indem er feststellte: «In so alten Dingen ist es schwer, zur Gewissheit zu gelangen; aber die angeführten Meinungen finden weder durch Denk- mäler noch in der Sprache Bestätigung.»' - Die damals ausgesprochene Hoffnung, dass in «irgend einem Tal Graubündens oder Tirols ein Rest der alten rätischen Sprache entdeckt und zum Schlüssel werden könnte zur Entzifferung etruskischer Schriftdenkmäler» hat sich inzwischen teilweise erfüllt. Das Etruskische ist heute gut erforscht, das nordetruskische Alphabet, dessen sich die rätischen AJpenstämme vorwiegend bedienten und das in über hundert Inschriften bezeugt ist, ist ebenfalls bekannt; trotzdem ist die rätische Sprache noch nicht genügend zugänglich, rätselhaft fast wie zuvor. Sie bietet, wie in der Vergangenheit, noch Spielraum für Spekulationen jeder Art. In einer zweiten Schrift von 1840 befasste sich Kaiser mit den «rechtlichen Verhältnissen der Rhä- tier unter der Herrschaft der Ostgoten und Fran- ken».8 Es handelt sich um eine kurze Abhandlung über das frühmittelalterliche Churrätien. Darin ge- langt Kaiser wiederum zu einigen wichtigen neuen Erkenntnissen. Dazu gehört die Feststellung, dass Churrätien unter der Herrschaft der Goten und der Franken weitgehend die römischen Einrichtungen beibehielt und autonome Stellung besass. In dem im Tello-Testament genannten Rat der Curialen er- kannte Kaiser, sich auch abstützend auf Savigny, die Fortdauer einer römischen Stadtverfassung. Im weiteren erblickte er im Tello-Testament von 765 ein äusserst interessantes Kulturdokument, dessen Ortsnamen er richtig lokalisierte - im Gegensatz zu späteren Geschichtsschreibern - und dessen Inhalt er überaus plastisch ausbreitete und interpretierte. Seine diesbezüglichen Ausführungen sind eingehen- der in der «Geschichte des Fürstenthums Liech- tenstein» dargestellt und stimmen grösstenteils mit der heutigen Sicht der Dinge überein. Auch die abschliessende Beurteilung Kaisers der allgemeinen Situation Churrätiens im Frühmittelalter kann aus heutiger Warte geteilt werden, wo er feststellte: «Rätien lag fern von dem Schauplatz der Bürger-kriege 
und Verwirrungen, die das Frankenreich unter den merowingischen Königen zerrütteten; die Stürme der Völkerwanderungen und die Herrschaft der Franken vermochten die von den Römern empfangene Kultur nicht auszutilgen und es genoss im Vergleich zu den übrigen Frankenländern eines leidlichen Glücks unter einheimischen Obrigkei- ten».9 Die beiden erwähnten Geschichtsaufsätze von Peter Kaiser von 1838 und 1840, verfasst in seiner Zeit als Rektor der katholischen Kantonsschule in Disentis, bildeten eine bedeutende Vorbereitung und einen Einstieg für seine 1847 herausgegebene «Geschich- te des Fürstenthums Liechtenstein». In der ländli- chen Abgeschiedenheit Graubündens hatte Kaiser Müsse gefunden zur Erforschung, aber auch Inter- esse an den grösseren Zusammenhängen der räti- schen Geschichte. Er erkannte, dass das Schicksal seiner engeren Heimat, Liechtensteins, über grosse Zeiträume hinweg aufs engste mit demjenigen Churrätiens verknüpft gewesen war. Von daher ergab es sich, dass er dem Titel seines Hauptwerks «Geschichte des Fürstenthums Liechtenstein» hin- zufügte: «Nebst Schilderungen aus Chur-Rätien's Vorzeit». Tatsächlich nehmen denn diese Schilde- rungen mehr als die Hälfte des Buches ein. In diesem Zusammenhang ergab sich für Kaiser auch die Gelegenheit, die geschichtliche Entwick- lung Niederrätiens - oder wie man heute sagt: Unterrätiens - im Mittelalter näher zu betrachten und darzustellen. Dazu gehörte auch der Hinweis auf die Rolle des seit 807 bezeugten traditionsrei- chen Landgerichtes von Rankweil, einer Institution und Entwicklung, der dann in unserem Jahrhundert vor allem Benedikt Bilgeri grosse Aufmerksamkeit schenkte und neue Erkenntnisse abgewann. Unter- rätien, ein Gebiet, das die bündnerische Geschichts- forschung bisher eher vernachlässigt hatte, rückte damit etwa zum Gleichstand auf. Überblickt man das historische Schaffen Peter Kai- sers, so gelangt man zum Schluss, dass eine Reihe seiner kritischen Ansatzpunkte zu neuen Ufern und noch heute anerkannten Erkenntnissen führte. Dies gilt insbesondere für die mittelalterliche Geschichte. In der neueren Geschichte, insbesondere des Für- 142
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.