Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1990) (88)

wussten und daher umso authentischeren Beweis der Anhänglichkeit an seine liechtensteinische Hei- mat geliefert. Die heimische Mundart war ihm nicht fremd geworden; er hatte sie in erstaunlicher Fri- sche in seinem Herzen bewahrt und mag, wenige Jahre vor seinem Tod, zunehmend das Bedürfnis empfunden haben, auch schriftlich festzuhalten, was ihm in der münchnerischen Wahlheimat längst nicht mehr als alltägliches Verständigungsmittel auf der Zunge lag. Doch sind wir in bezug auf die konkreten Beweg- gründe seiner dialektologischen Sammeltätigkeit in der Tat weitgehend auf Mutmassungen angewiesen, denn es finden sich in den Schriften von Joseph Rheinberger nicht die geringsten Hinweise auf diese Sammlung mundartlicher Ausdrücke. Immerhin ist bekannt, dass Rheinberger in seiner Jugend einige mundartliche Briefe an seine Geschwister schrieb, und auch in den schriftlichen Botschaften an seine Eltern kommt gelegentlich ein Dialektwort vor. Doch wissen wir nicht, über welchen Zeitraum sich seine mundartliche Sammeltätigkeit erstreckte. Vielleicht hätten sich in den nach seinen Anordnungen nach seinem Tode verbrannten Tagebüchern und Briefen hiezu Aufschlüsse finden lassen. Doch sei dem, wie ihm wolle - jedenfalls muss Rheinberger ganz allge- mein ein vielseitig interessierter Mann gewesen sein. Davon zeugen etwa die erhaltenen sogenann- ten Inspektionsbücher, wo sich neben den üblichen beruflichen Eintragungen immer wieder auch priva- te Notizen verschiedenster Natur finden, die seine Belesenheit auf den verschiedensten Gebieten unter Beweis stellen. Man fühlt sich nun geneigt zu fragen, ob Musikalität und sprachliche Hellhörigkeit nicht innerlich ver- wandte Qualitäten darstellen. Persönlich glaube ich durchaus, dass da Zusammenhänge bestehen. Das gute Gehör war Joseph Rheinberger offenkundig angeboren; die eingangs erwähnte Episode lässt da keine Zweifel offen. Die Erfahrungen eines früh Grenzgewohnten mussten im empfindsamen Gemüt besonders tiefe Wirkungen entfalten. Die Mutter des begabten Knaben (eine Carigiet aus Disentis) war rätoromanischer Muttersprache, und wiewohl nicht anzunehmen, jedenfalls nicht durch Überlieferung 
bestätigt ist, dass das Romanische in Josephs Erzie- hung direkt zur Anwendung gelangte, so scheint doch die Vermutung begründet, dass auch bei ihm das frühe Erfahren sprachlicher Unterschiede sich prägend auf Interessen und Fähigkeiten auswirkte. Feingefühl für den «richtigen» Ausdruck, den echten mundartlichen Tonfall, für die stilistische Nuance, das treffende Wort - sind das nicht Eigenschaften, die mutatis mutandis auch im musikalischen Schaf- fen des Komponisten, des formstrengen Kontra- punktiklehrers ihre Parallelen finden? Ein weiteres biographisches Element weist in die angetönte Richtung. Die frühe Feldkircher Zeit mit den regelmässigen langen Wanderungen durch das Unterland herauf mag dem lernbegierigen Knaben auch die Unterschiede nähergebracht haben, die nur schon auf dieser verhältnismässig kurzen Strek- ke die Mundarten der einzelnen Siedlungen kenn- zeichnen. Und erst recht in München müssen sich die Strukturen der so fernen heimatlichen Sprach- landschaft vor dem grossstädtischen Hintergrund scharf abgezeichnet und im Gedächtnis Rheinber- gers in dem Stadium konserviert haben, in welchem er - als Jugendlicher - seine prägenden Eindrücke daheim empfangen hatte. Grenzgänger zu sein heisst nebst manchem Unge- mach auch, an verschiedenen kulturellen Kontexten teilzuhaben, und diese notgedrungene oder freiwilli- ge Teilnahme birgt besondere Chancen des Verglei- ches, der Sinnesschärfung, der Bereicherung. Rheinberger wusste diese Chancen nicht nur im musikalischen Sinne zu nutzen, und es ist nun unse- re Aufgabe, uns dem Produkt seiner lexikographi- schen Beschäftigung zuzuwenden. Um nicht falsche Erwartungen zu schüren, sei hier nochmals darauf verwiesen, dass es sich bei der Wörterbucharbeit von Joseph Rheinberger - gemes- sen an seinem musikalischen Schaffen - um ein insgesamt durchaus marginales und wenig spekta- kuläres Werklein handelt, an das auch nicht die professionellen Massstäbe anzulegen sind, die sei- nem eigentlichen Fache, der Musik, angemessen wären. 138
	        

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