Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1990) (88)

Zum Beispiel heisst es im Tagebuch unter dem 20. Juni 1810: «[...] mit Fürst Moriz Lichtenstein nach der Carlsbrücke. Unterhaltung über die neuern Welt- und Kriegsbegebenheiten» (S. 133 f.) Ein paar Wochen später wurde Goethe eingeladen, bei Fürst Liechtenstein seine Gedichte vorzulesen; eine Tage- bucheintragung für 8. Juli 1810 lautet: «Um 12 Uhr Vorlesung bei Fürst Moriz Lichtenstein» (S. 138). Der Soldat Moritz Liechtenstein wurde bei dieser Gelegenheit und bei anderen Lesungen Goethes, de- nen er beiwohnte, von der Zauberkraft der Poesie eingenommen107, und das Fürstenpaar erhielt im Laufe mehrerer Jahre herzliche Beziehungen zum Dichter aufrecht. Im Jahre 1812 trafen sich Goethe und das Fürsten- paar Moritz Liechtenstein wieder, zunächst in Karls- bad, dann in Teplitz (einem weiteren böhmischen Kurort). Verschiedenen Tagebucheintragungen ge- mäss unternahmen Fürst Moritz und Goethe gern Spaziergänge miteinander, und der Dichter wurde mehrmals zum Fürstenpaar Liechtenstein eingela- den, wo ihm Fürstin Leopoldine ihre Zeichnungen zeigte.""* Goethe erzählte von dieser Beziehung ebenfalls in Briefen an seine Frau, Christiane, wel- che offensichtlich das Fürstenpaar auch kennenge- lernt hatte.109 Im Sommer 1813 verkehrten die beiden Liechten- stein und Goethe häufig miteinander, entweder im Kurort Teplitz oder auf dem Lobkowitzschen Schloss im unweit davon entfernten Bilin, wo Moritz von Liechtenstein als kommandierender General sein Hauptquartier hielt.110 Anlässlich einer dieser Begeg- nungen bezeichnete Goethe den um 26 Jahre jünge- ren Moritz von Liechtenstein als seinen «hohen Gön- ner und Freund». Dies wird in Goethes Bericht über den «Ausflug nach Zinnwalde und Altenberg» be- legt, welcher unter seinen Schriften Zur Naturwis- senschaft überhaupt veröffentlicht wurde.111 Die Be- gebenheit fand mitten im Kriegsgeschehen statt und wird von Goethe mit folgenden Worten beschrieben: Abends spät gelangte ich nach Töplitz, frank und frei, zu einigein Missvergnügen einer heitern Gesell- schaft, welche schadenfroh gehofft hatte, mich, für meine Verwegenheit bestraft, als Gefangenen escor- tirt, vor den commandirenden General, meinen ho-hen 
Gönner und Freund, den Fürsten Moritz Lich- tenstein und seine so lieb und werthe Umgebung gebracht zu sehen. (S. 153) Die Hochschätzung des Dichterfürsten für diese ho- he Beziehung äussert Goethe weiters in einem Brief an Gräfin Josephine O'Donell: Die Nähe des Fürstlich Lichtensteinischen Paares in Bilin war mir nicht weniger höchsterfreulich, ich verlebte dort manche gute Stunde und veranlasst auch einmal wieder durch Vorlesung gewisse ver- klungene herzlich poetische Scenen zu erneuern, ja mir selbst zur Verwunderung hervorzurufen, ward ich diesem verehrten Paare doppelten Dank schul- dig; denn seit vorigem Jahr war dieser und ähnli- cher Klang verstummt und verschwunden."? Noch in diesem Kriegsjahr, im Oktober 1813, drück- te Goethe in einem Brief an Moritz von Liechtenstein seine Dankbarkeit aus: Was könnte mir wünschenswerther seyn als in die- sen Stunden mich an Ew. Durchl. tröstlicher Gegen- wart und Ihren theilnehmenden Gesinnungen zu erquicken. [.. Goethe erwähnt die Hilfe des Fürsten Moritz eben- falls in einem Brief an Gräfin Josephine O'Donell: Eben so engelartig erschien mir Fürst Moriz Liech- tenstein welcher mehr als er selbst wissen kann mir hülfreich gewesen."4 Nähere Einzelheiten sind nicht überliefert, aber der Fürst muss geholfen haben, die Unannehmlichkeiten und Anstrengungen der militärischen Besetzung Weimars zu lindern. Nach dem intensiven Kontakt des Jahres 1813 scheinen die Beziehungen zwischen Goethe und dem Fürstenpaar Liechtenstein nachge- lassen zu haben, figuriert doch dieses weder in Goethes Tagebüchern noch in seinen Briefen weiter. Unter den vielen Versuchen, die mit fast keinen Eigennamen versehenen Persönlichkeiten und Ort- schaften in Goethes Alterswerk Novelle (1828 veröf- fentlicht) mit der biographischen Wirklichkeit in Verbindung zu bringen, gab es auch einen, der Fürst Moritz von Liechtenstein und noch mehr seine Ge- mahlin Leopoldine in die Geschichte verwickeln 118
	        

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