Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1990) (88)

tensteinischen Fürsten bzw. Prinzen geführt, welche dann ihrerseits zu gewissen irrigen Schlüssen ge- führt haben. Heinrich Düntzer meinte den ältesten Bruder der Gräfin Harrach, Karl, zu identifizieren, aber es stellte sich heraus, dass dieser zu jener Zeit gar nicht in Rom war. Friedrich Noack befasste sich eingehend mit dieser Angelegenheit und kam zum Schluss, dass Düntzers Vermutung rein willkürlich gewesen sein musste.97 Noack legt dar, dass sich zwei Fürsten Liechtenstein zur in Frage kommenden Zeit in Rom aufhielten. (Zu dieser Zeit nannte man alle männlichen Angehöri- gen des Fürstenhauses, also auch der Nebenlinien, «Fürst».) Der eine war Josef Wenzel, Zweitältester Bruder der Gräfin Harrach, der damals erst 19 Jah- re alt war und in Rom Theologie studierte - nach Falke war er ein Mann «aufgeweckten Geistes, aber leichten Blutes».98 Der andere Fürst Liechtenstein war auch noch ein junger Mann, aber mit seinen 25 Jahren doch etwas gesetzteren Alters. Es handelt sich um einen Cousin Josef Wenzels und der Gräfin Harrach - Philipp Josef, jüngerer Bruder des damals Regierenden Für- sten Alois I. Noack schaltet Josef Wenzel wegen seiner jungen Jahre und seines leichtlebigen Rufes aus und plädiert überzeugend für Philipp als wahr- scheinlichsten Kandidaten;9'' wegen des Verwandt- schaftsgrads zur Gräfin Harrach meint er, Goethe hätte sich leicht täuschen können, wie sich über- haupt viele Details in Goethes autobiographischen Schriften als unrichtig herausgestellt haben. Wie schon erwähnt, Noacks Argumente zur Identifizie- rung des geheimnisvollen «Fürsten Liechtenstein» wurden von den Herausgebern vieler in diesem Jahrhundert erschienenen Goethe-Ausgaben ange- nommen. In letzter Zeit wurde die Frage von einem Kenner der Geschichte des Fürstenhauses neu untersucht. Im Jahre 1987 hielt Volker Press in Liechtenstein einen Vortrag über «Goethe und das Haus Liechten- stein»1"", in dem er die Umstände Goethes römischer Beziehungen und der damaligen Aufenthalte von Angehörigen des Fürstenhauses gründlich unter- sucht und mit überzeugenden Argumenten zum Schluss kommt, der betreffende «Fürst Liechten-stein» 
muss schliesslich doch der junge Josef Wenzel gewesen sein. Dieser hatte nämlich beträchtlich län- ger in Rom gelebt als sein Cousin, war also eher in der Lage, Goethe überall Einlass zu verschaffen, und war auch nachweislich Mitglied der Poetenakade- mie (bzw. «Schäfergesellschaft») Arkadia, in die, zeitgenössischen Berichten gemäss, ein junger Fürst Liechtenstein Goethe einführte.101 Goethe erwähnt die Beziehung in der Italienischen Reise (unter dem Datum 23. November 1786; vgl. den Abschnitt «Prinzessin Maria Josefa») mit folgen- den Worten: Den Fürsten von Liechtenstein, den Bruder der mir so werten Gräfin Harrach, habe ich gern begrüsst und einigemal bei ihm gespeis't[...] (S. 223 f.) [...] wie denn Fürst Liechtenstein die Gefälligkeit selbst ist und mir Gelegenheit geschafft hat, mit ihm gar manche Kunstschätze zu sehen, wozu besondere Frlaubniss der Besitzer und also eine höhere Ein- wirkung nöthig ist. (S. 225 f.) Mit ähnlichen Worten drückt sich Goethe in seinem Brief vom 2. Dezember 1786 an Herders aus: Mein decidirtes Incognito spart mir viel Zeit, ich gehe absolut zu niemanden ausser zu Künstlern. Den Bruder der Gräfinn Harrach einen Prinz Lich- tenstein hab ich allein ausgenommen, der mir denn auch mit viel Gefälligkeit verschafft hat Dinge zu sehn die man gewöhnlich nicht sieht. Durch seine Negociation hoffe ich auch in ein Nonnenkloster zu kommen, wo Reste eines Mars Tempel stecken müs- sen die mich sehr interessiren.'02 Die Begegnung erwähnt er in weiteren Briefen an Charlotte von Stein sowie an Herzog Karl August.101 Ebenfalls aus dieser Zeit stammt die lapidare Tage- bucheintragung: «Servo Liechtenstein» («Ich diene dem Liechtenstein»).1"4 Bei seinem Gönner, dem Fürsten bzw. Prinzen Liechtenstein, traf Goethe den italienischen Dichter Abbate Vincenzo Monti, der am päpstlichen Hof wirkte, und erlebte eine Lesung von dessen Tragödie Aristodemo}05 Höchstwahrscheinlich war es also Fürst Josef Wen- zel von Liechtenstein, der in Rom eine vermittelnde 116
	        

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