Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1972) (72)

wiesen-.192 — Das Mädchenheim wurde schon bald nach seiner Grün- dung, zu Beginn des Weltkrieges nämlich, wieder aufgelassen. Mag es auch den damaligen Vorstellungen einer Wohlfahrtseinrichtung ent- sprochen haben, so wäre ihm nach heutigen Begriffen das Attribut «sozial» wohl nicht gegeben worden. Arbeiterbewegungen Organisierte Arbeiterbewegungen oder -vereine gab es vor dem Welt- krieg keine in Liechtenstein. Dennoch zeigten sich hie und da Anzei- chen zu einem gemeinsamen Vorgehen der Arbeiter zur Wahrung ihrer Interessen. Vom 20. Juli 1884 datiert eine Beschwerdeschrift, anonym verfasst im Namen der Arbeiter der Weberei in Triesen. Dieses Schrei- ben, «ein Hülferuf armer, über die Maaßsen gequälter Arbeiter», ist eine Beschwerde über die zu strenge Behandlung und zu starke Ein- schränkung der Belegschaft.193 Nach dem die Regierung zwei Fabrik- arbeiterinnen aus Triesen einvernommen hatte, erklärte sie die aufge- führten Klagen als grundlos.194 Der vermutlich erste Vorstoss von Ar- beitern in eigener Sache war gescheitert. Mehr Erfolg hatten die Fabrikarbeiterinnen der Mechanischen Webe- rei Vaduz. Nachdem ihnen ohne besondere Ankündigung die Lohnsätze beträchtlich gekürzt worden waren, traten sie am 6. April 1898 in den Ausstand. Eine fünfköpfige Delegation sprach bei der Regierung vor und ersuchte diese um ihren Beistand. Noch am selben Tag begab sich de Landesverweser in Begleitung des Vaduzer Bürgermeisters in die Fabrik, um sich persönlich von den Mißständen zu überzeugen und den nötigen Druck auf die Fabriksleitung auszuüben. Schon am folgenden Tag nahm die Betriebsleitung die angesetzten Lohnreduktionen prak- tisch völlig zurück und zeigte sich bereit, eine Reihe anderer Miss- stände zu beseitigen.195 Der erste und einzige liechtensteinische Arbei- terstreik im 19. Jahrhundert war erfolgreich verlaufen. Die Arbeiterin- nen hatten sich korrekt verhalten und im Einvernehmen mit den Be- hörden eine Verbesserung ihrer Arbeits- und Lohnverhältnisse erzielt.190 In der wirtschaftlichen Not während des Weltkrieges war die Bereit- schaft unter den Arbeitern, sich zu einer gewerkschaftlichen Vereini- 192 LRA SF Spörry Vaduz. 1913/Nr. 574. 5. März 1913. «Hausordnung für das Mädchenheim von Jenny-Spörry & Cie.» 193 LRA 1884/Nr. 1241. 20. Juli 1884. Beschwerdeschrift. 194 LRA 1884/ad Nr. 1241. 1. Aug. 1884. Amtsvermerk. 195 LRA 1898/ad Nr. 588. 6. u. 7. April 1898. Regierungsvermerk. - Die ange- kündigte Lohnreduktion betrug mehr als 30°/o! 196 Gleichzeitig mit der Klärung der Lohnfrage wurde auch die willkürliche und grobe Behandlung der Fabrikarbeiter abgestellt. Die sanitären Ver- hältnisse .in der Weberei wurden verbessert. (LRA 1898/ad Nr. 588. 6. Mai 1898. Reg. an Gewerbeinspektorat). 287
	        

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