Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1972) (72)

G r u n d e n 11 a s t u n g und Bauernbefreiung Alle Reformmassnahmen, die seit der Mitte des 18. Jahrhunderts in den europäischen Ländern durchgeführt wurden, um die altüberkom- mene Agrarverfassung im Sinne der neuen liberalen Idee umzuwan- deln, also insbesondere die grundherrlichen Beziehungen samt den auf dem Boden haftenden Lasten aufzulösen, werden heute mit dem Be- griff «Bauernbefreiung» umschrieben. Die Auflösung der bisherigen grundherrlich-bäuerlichen Verhältnisse stand im Mittelpunkt dieser Reformmassnahmen, war aber nicht alleiniges Ziel. Gleichzeitig wurde die Aufhebung der nicht mehr verstandenen leibherrlichen und schutz- herrlichen Bindungen und die Ablösung der Zehntrechte angestrebt. Aber nicht nur der mittelalterliche Herrschaftsgedanke, sondern auch der Genossenschaftsgedanke musste nun, längst nicht mehr in seinem ursprünglichen Gehalt gesehen und verstanden, den neuen Vorstellun- gen einer Staats- und Gesellschaftsordnung, der neuen Freiheitsidee weichen. Mit der Aufteilung der Allmenden wurden zwar keine Herr- schaftsverhältnisse beseitigt, hingegen uralte bäuerliche Genossen- schaftsordnungen wenn nicht aufgehoben, so doch stark zurückgedrängt. Die neue Vorstellung von Freiheit schloss sowohl Herrschaft, als auch Einordnung in eine Genossenschaft als Freiheit mindernde Bindungen aus. War das Prinzip der Herrschaft endgültig gebrochen, erstanden nach dem Verblassen des liberalen Freiheitsideales erneut genossen- schaftliche Formen. So wurde vielerorts auf weitere Gemeinheitentei- lung verzichtet, eine Flurbereinigung in Angriff genommen und ein neues ländliches Genossenschaftswesen aufgebaut. «Bauernbefreiung» umschreibt also «eine umfassende revolutionie- rende Reform der gesamten sozialen und wirtschaftlichen Ordnung. Denn es handelt sich in der Tat nicht um eine speziell agrarpolitische Massnahme, sondern um eine Umformung der gesamten gesellschaft- lichen Struktur. In der gleichen Zeit und Hand in Hand damit erfolgen ja auch in den anderen Bereichen des sozialen und wirtschaftlichen Lebens entsprechende Umgestaltungen aus dem gleichen Geist, wie etwa die Verwirklichung von Gewerbefreiheit, Handelsfreiheit usw.»134 Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts waren Aufklärung, Rationalismus und Liberalismus die Triebkräfte eines sich langsam durchsetzenden neuen Zeitalters. Die alte Ordnung war im Kern überlebt. Die Menschen lösten sich von ständischen Wertkategorien, rationalwirtschaftliche Gesichtspunkte rückten zunächst bei der Obrigkeit, nach und nach auch bei den Bauern in den Vordergrund. Die alte staatliche, gesell- schaftliche und wirtschaftliche Ordnung befand sich in schleichender 133 In den allgemeinen Ausführungen zur Bauernbefreiung folge ich: Lütge, Geschichte der deutschen Agrarverfassung. S. 201 — 222. 134 a. a. O., S. 203. 126
	        

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